Von menschlichen Abgründen in theatralen Momenten

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Woyzeck
Wo: Theater Neumarkt
Wann: 09.03.2012
Bereich: Theater

Der Autor

Dominik Wolfinger: Dominik Wolfinger ist geboren und aufgewachsen im Fürstentum Liechtenstein. Nach der Sekundarschule schloss er eine Lehre als Chemielaborant ab. Seit 2010 studiert er an der Zürcher Hochschule der Künste Dramaturgie.

Die Kritik

Lektorat: Elena Ibello.

Von Dominik Wolfinger, 11.3.2012

Woyzeck, das nie vollendete, fragmentarische Sozialdrama von Georg Büchner, das schon so oft im Theater und im Film eine Umsetzung erfuhr, bekommt im Theater Neumarkt eine ganz neue Note. Die Geschichte des Soldaten Woyzeck, der von der Obrigkeit ausgenutzt und von seiner Freundin betrogen wird und dadurch zum Mörder wird, ist eine Geschichte, die in Zeiten der Krise aktueller denn je erscheint. Yannis Houvardas, Leiter des Griechischen Nationaltheaters in Athen, packt die 27 Szenen und erzählt Woyzeck in einer naturalistisch schönen aber trostlosen Bar und fokussiert dabei auf die Würde und Selbstachtung des Menschen.
«Vielen Griechen – und vielen Menschen in anderen Ländern – wurde von der Krise alles genommen: Jobs, Häuser, Ersparnisse. Und damit verloren nicht wenige auch ihre Selbstachtung – als Individuen wie als Bürger einer Nation.»
Houvardas lässt Woyzeck als einfachen, armen Mann erscheinen. Ein Mann aus der Unterschicht, der alles verlor und in unbeschreiblichem Elend eine Lösung sucht. Für Houvardas eine Metapher für den modernen Menschen, der sich zwischen Reichtum und Armut auf einem schmalen Grat bewegt. Die Schweiz, ein Land mit einem hohen Wohlstandsniveau; dagegen Griechenland, das zurzeit am Hungertuch nagt. Zwei völlig unterschiedliche Länder und doch im Bezug auf Woyzeck so gleich, denn auch das Geld verwest und so wird jeder Mensch zum Abgrund, bei dem es einem schwindelt, wenn man hinabsieht.

Rhythmus und Langsamkeit

Das Konzept, welches Robert Wilson vorlegte, passt dabei wie die Faust aufs Auge, denn mit dem Musiker Tom Waits entwickelte der amerikanische Theaterregisseur ein melancholisch-tristes Woyzeck-Konzept, das auch auf der musikalischen Ebene den Zuschauer berührt. Houvardas Inszenierung spielt dabei mit dem Rhythmus der Elegie und lässt Kontraste wirken. Auf die radikale Musik von Tom Waits folgen stoisch die Dialoge der Figuren. Der griechische Regisseur nutzt dabei die Musik auch, um die Figuren klar zu zeichnen. So ist der Tambourmajor, Woyzecks Gegenspieler, ein cooler, rockiger Typ und Marie, Woyzecks Freundin, eine starke und selbstbestimmte Frau. Doch wie auch immer die Figuren dargestellt werden, in Houvardas Woyzeck gibt es keine Gewinner, denn schlussendlich fallen alle Figuren tief und landen auf der harten, kahlen Erde.
Woyzeck im Theater Neumarkt überzeugt mit detailreichen, stimmungsvollen Bildern und berührenden musikalischen Einlagen. Einzig die zähe Langsamkeit, die das ganze Stück durchzieht, wird auf die Dauer zur Last.

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