Unter die Haut: Soap & Skin in der Roten Fabrik

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Soap & Skin
Wo: Rote Fabrik
Wann: 15.03.2012
Bereich: Musik

Die Autorin

Michelle Steinbeck: Michelle Steinbeck, geboren 1990, lebt in Zürich und studiert Literarisches Schreiben an der Hochschule der Künste Bern.

Die Kritik

Lektorat: Sophie Caflisch.

Von Michelle Steinbeck, 17.3.2012

Die Schlange vor dem Clubraum der Roten Fabrik reicht fast bis zum nachtschwarzen See hinunter. Soap & Skin ist kein Geheimtipp mehr – am Eingang werden neben Platten, CD’s und T-Shirts auch Notenhefte fürs Klavier und sogar endorphinträchtige Soap&Skin-Schokolade verkauft.

Irrender Geist

Die Bühne ist abgesehen vom Flügel leer, darauf das silbrige Notebook. Und dann gehn die Lichter aus, und Zuschauerraum und Bühne bleiben in absolute Dunkelheit getaucht, bis die ersten Töne von Deathmetal den Saal erschüttern und gleissende Scheinwerfer über die Bühne zucken. Eine schwarze Gestalt betritt langsam und lautlos die Bühne, wandert erratisch durchs Blitzgewitter und steht schliesslich fast zufällig vor dem Mikrofon. Ein einziger Scheinwerfer fällt von oben auf ein weisses, von leuchtend rotem Haar gerahmtes Gesicht. Die Erleuchtete steht ganz still, einzig die roten Lippen öffnen sich und erfüllen den Raum mit einem warmen, schweren alles umhüllenden Fluidum. Schliesst sich der Mund von Anja Plaschg alias Soap & Skin, dreht sie dem Publikum den Rücken zu und irrt rastlos über die dunkle Bühne, kauert sich zusammen, scheint sich zu verstecken vor den heraufbeschworenen Dämonen.

Im Publikum herrscht ehrfürchtig museale Stille. Dem Spiel von Dunkelheit und Lichtzucken ausgeliefert, lässt es die rohe Gewalt der Musik auf sich niederdonnern. Manche Klanginstallationen nehmen den Atem wie ein Schlag gegen die Brust; umso mehr findet die fast schmerzliche Schönheit, der Plaschgs Stimme entströmt, Eingang in den Zuschauer. Sie scheint zeitweise von sich selber überwältigt: Erschrocken dreht sie sich vom Zuschauerraum ab, rauft sich die Haare, bis sie wieder in eine Trance zu fallen scheint und wie weggetreten zitternd, fast epileptisch auf die Tasten des Flügels schlägt.

Sometimes I wish I were an angel

Wie aus Interviews bekannt, ist Plaschg um eine mythische Distanzierung ihrer Person bemüht. Sie macht es auch heute Abend dem Publikum nicht leicht, an sie heranzukommen; Kommentare sind selten und so leise und undeutlich, dass der sonst stumm, andächtig befangenen Menge ein «hä?» entweicht. Als sie beim französischen Cover Voyage Voyage den Text vergisst und abbricht, wirft sie einen hilflosen Blick ins Publikum. Auf einmal sieht sie, die ja 21 ist, sehr jung und so unbehütet aus, dass man sie an einen sonnigeren Ort mitnehmen und sie gleichzeitig vor dem Tageslicht beschützen möchte. Aus dem Riss im sonst so konzertriert-entrückten Auftritt entspringt der Wunsch, sie würde nun endlich etwas sagen, etwas an sich aufblitzen lassen, das nicht nur tragisch und dramatisch ist – sie lächelt: «non», und nimmt das Spiel wieder auf.

Kurz darauf steht sie am Bühnenrand, vor ihr der restlos gefüllte Saal. Sie holt aus mit Händen und Armen und dirigiert virtuos ihr unsichtbares digitales Orchester, die gewaltige Zaubershow aus wild gewordenen Instrumenten, deren Herrscherin sie ist. Sie schüttelt sich im Strobo und verschwindet schliesslich im Getöse, geht leise ab, so wie sie gekommen ist.

Unter anhaltendem Applaus kommt Soap & Skin noch einmal auf die Bühne, die Hände vor dem Gesicht. Was soll ich denn jetzt noch, sagt sie vielleicht, man versteht es nicht. Schliesslich setzt sie sich an den Flügel, überlegt.

«Maybe you know», haucht sie und beginnt. Sometimes I wish I were an angel – einzelne Lacher aus dem Publikum; spätestens bei «your honey kisses keep me fed» lacht auch Plaschg und befreit stimmt der Saal ein, bis einem schliesslich sogar bei der Schnulze der Kelly Family eng im Hals wird. Das Velvet Underground Cover Linger on ist das letzte Lied des Abends und diesmal verharrt Soap & Skin mit dem Gesicht zum Publikum und fängt, mit einem kurzen, fast unsichtbaren Lächeln, den letzten Ton in ihrer Faust.

Die Nacht versenkt sich im See, die Sterne sehr kühl im klaren Himmel. Die Zuschauer ziehen die Schultern hoch und Jacken an, steigen auf ihre Velos und in Busse, getränkt von der allmählich abebbenden Flut jener dunkelromantischen, singenden und klingenden Gegenwelt. Ein im heutigen Konzertbusiness eigenartiges und seltenes Ereignis, das unter die Haut gegangen ist.

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