Klangmahlerisch

Die Veranstaltung

Was: Orchesterakademie - ... les adieux ...
Wo: Tonhalle Zürich
Wann: 26.03.2012
Bereich: Musik

Die Autorin

Fabienne Schmuki: Jahrgang 1983. Absolventin des Masterstudiengangs Kulturvermittlung, «publizieren & vermitteln» an der ZHdK. Co-Geschäftsführung eines Schweizer Independent Musikvertriebs; Promotion & Kommunikation. Freelancerin für diverse Print-/Onlinemedien.

Die Kritik

Lektorat: Gabriele Spiller.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).

Von Fabienne Schmuki, 27.3.2012

Könnte man Mahlers Neunte auf der Zunge schmecken, dann wäre sie bittersüss. Die Tour de Force für alle Sinne ist ein Wahnsinnswerk – und ein Stück auch das Werk eines Wahnsinnigen. Mahlers guter Freund Bruno Walter sagte über ihn: «Mahler erschien mir in Antlitz und Gebaren als Genie und Dämon.» Ein bisschen Irrsinn gehört also schon dazu, wenn sich zwei Hochschulorchester an diesen Stoff heranwagen. Die Orchesterakademie 2012, bestehend aus den Orchestern der Zürcher Hochschule der Künste und der Haute école de musique de Genève und dem Dirigenten Jesús López Cobos, hatte den Mut dazu.

Der Dirigent hat sein Orchester fest in der Hand. Der Spanier ist ein Quereinsteiger, der erst während seinem Philosophiestudium in der Funktion des Universitätschor-Leiters sein offensichtliches Talent entdeckte. Dann aber zog er alle Register, lernte bei den Besten und arbeitete mit einigen der wichtigsten Orchester der Welt zusammen.

Eine untypische Sinfonie

Mahler führte ein äusserst tüchtiges und züchtiges Leben. Nach 1907, zwei Jahre bevor die 9. Sinfonie entstand, ging es allerdings abwärts: Just nachdem er seine Stelle an der Metropolitan Opera in New York angetreten hatte, starb seine ältere Tochter an Diphtherie. Kurz darauf stellte man bei Mahler eine Herzkrankheit fest. Von permanenter Todesangst geplagt, flossen seine Verzweiflung und die Auseinandersetzung mit dem Tod in sein Werk ein: Die 9. Sinfonie entstand.

Trotz dem für die Spätromantik klassischen Aufbau mit vier Sätzen weicht die 9. Sinfonie vom Schema ab. Der erste und der vierte Satz sind ausgesprochen ruhig. Laut und lebendig wird es atypisch im zweiten und dritten Satz. Die gesamte Sinfonie ist von einem dunklen Timbre geprägt. Brutale Virtuosität und entwaffnende Pianissimi wirken auf den Zuhörer mal wie eine Bedrohung, mal wie ein langer, sanfter Blick, den man nur mit Anstrengung erwidern kann.

Doch das auffälligste Merkmal der 9. Sinfonie ist ein anderes: Mahler treibt es mit den Dissonanzen auf die Spitze. Vor allem im dritten Satz, dem «Rondo-Burleske: Allegro assai. Sehr trotzig» in a-Moll, den Mahler zusätzlich mit Referenzen anreichert und bis ins Unendliche verfremdet, reiben sich die Töne aneinander und setzen den stimmigen Klangmalereien ein jähes Ende.

Nur Mut, junges Orchester!

Die Orchesterakademie 2012 hat nicht nur eine stolze Grösse, sondern auch ein grosses spielerisches Feuer. Dieser Funke springt vor allem dann über, wenn die zahlreichen Musiker die virtuosen Allegri anpacken und in ihrer ganzen Pracht in die Saiten oder Tasten greifen können. Aber die feinen Stellen ertönen gar zaghaft im vollen grossen Saal der Zürcher Tonhalle. Zudem sind Übergänge von einem Thema ins nächste oft etwas unbestimmt und scheinen zögerlich. Auch wünscht man sich, die Solisten würden ihre leitenden Stimmen etwas mehr auskosten. Und  dann sind da eben diese Dissonanzen, welche mit mehr Mut und mehr Überzeugung angespielt werden müssten. Vielleicht ist es das junge Alter der Musiker oder die Ehrfurcht vor dem Profidirigenten, aber an einem fehlt es der Orchesterakademie: Selbstbewusstsein.

Der zweite Satz gelingt dem Orchester am besten. Die Fagotte stimmen das leicht spöttische Thema des 2. Satzes im Dreivierteltakt an. Als würden die Musiker eine Tür zu einem verwunschenen Kinderparadies öffnen, so spielerisch eröffnen sich dem Publikum die Melodiebögen. Es ist der fröhlichste Satz der Neunten, aber auch hier lächelt der Komponist scheinbar nur hinter vorgehaltener Hand. Könnte man es hören, so wäre es wahrscheinlich das spöttische Lachen eines Wahnsinnigen.

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