Solides Orchesterspiel

Die Veranstaltung
Was: Orchesterkonzert – Unvollendet?
Wo: Stadthaus Winterthur
Wann: 11.05.2012
Bereich: Musik
Der Autor
Moritz Weber: Jahrgang 1976, studierte Klavier an den Musikhochschulen in Zürich und München sowie Kulturpublizistik an der ZHdK. Er lebt als freischaffender Konzertpianist, Kulturjournalist und Klavierpädagoge in Zürich.
Die Kritik
Lektorat: Stefan Schöbi.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).
Von Moritz Weber, 12.5.2012
Das angenehm frühsommerliche Wetter war eine starke Konkurrenz zum Orchesterkonzert der Zürcher Hochschule der Künste, welches im Stadthaus Winterthur stattfand. Wahrscheinlich deshalb war der Saal trotz des attraktiv ausgeklügelten Programms mit Werken der beiden Publikumslieblinge Mozart und Schubert nur circa zur Hälfte gefüllt. Alle Abwesenden haben sich einige Kostbarkeiten entgehen lassen.
Powerplay
Das Orchester eröffnete unter dem Dirigat seines langjährigen Leiters Johannes Schlaefli frisch und schwungvoll mit Mozarts «Prager»-Sinfonie. Schon in diesem ersten Stück wurde hörbar, dass der Klangkörper der ZHdK kraftvoll zu spielen vermag. Der jugendliche Übermut und die Ambitionen der Studenten führten zu einem betont extrovertierten Orchesterspiel, welcher ganz im Trend der Klangästhetik heutiger Solisten liegt. Schlaeflis Interpretation nutzte die publikumswirksamen Vorzüge dieses Powerplays. Er setzte zudem primär auf Präzision im Zusammenspiel und auf Hörbarkeit der musikalischen Struktur statt auf Innigkeit und individuellen Ausdruck.
Virtuosität
Auf die Sinfonie folgte die (leider) unvollendet gebliebene Sinfonia concertante für Streichtrio und Orchester, ein Stück welches praktisch nie aufgeführt wird. Mit grossem Mut wagten sich die drei jungen Solistinnen an die schönen, aber horrend schwierigen und fies exponierten Soloparts. Es war klug von ihnen, im einleitenden Orchestertutti mitzuspielen um so die ersten, besonders halsbrecherischen Kapriolen nicht im Kaltstart bewältigen zu müssen. Auf diese Weise waren sie bei ihrem eigentlichen Soloeinsatz nach der Orchesterexposition schon warmgelaufen und überzeugten mit gekonntem und differziertem Spiel, besonders die Bratschistin Giorgia Elena Cervini und die Cellistin Christine Hu.
Mehr Mut zum Piano
Auch in den Stücken nach der Pause setzte das Orchester sein Kraftspiel fort, es glänzte besonders an den dramatischen, mitreissenden und klangvollen Stellen der Partitur. Durch Schlaeflis starken Fokus auf gute Koordination entstanden viele überflüssige Betonungen auf den Taktanfängen, was die Entstehung von grösseren Phrasen und die Entfaltung künstlerischer Grösse hemmte. An den leisen Stellen blieb das Orchester leider oft etwas matt und seelenlos, fast nie wurde mit Risiko die Lautstärke bis ins wirkliche Piano zurückgenommen oder mit einem persönlichen Ton überrascht. Eine Ausnahme bildeten das erste und das dritte der Orchesterstücke op. 10 von Webern, in welchen hauchzarte Klangwirkungen entstanden.
The one who should be named
Der Solo-Klarinettist, dessen Name wie die Namen aller anderen Orchestermusiker nicht im Programm stand, war das geheime Highlight des Abends: Mit nur zwei kurzen Soli in Schuberts fragmentarischem Andante h-Moll und in dessen «unvollendeter» Sinfonie demonstrierte er eindrücklich, wie intensiv und zauberhaft ein einzelner, tief empfundener Pianoton sein kann und wie man damit einen ganzen Saal aufhorchen lässt. Der namenlose Klarinettist schattierte auf subtilste Weise die Wendungen seiner Melodien ab und zog die Zuhörer mit wenigen Noten in seinen Bann. Wenn sich doch nur jeder Musiker einfach eine Scheibe von dieser Inspiration abschneiden könnte.