Observatio VII

Die Veranstaltung
Was: Batman Genesis
Wo: Theater der Künste, Bühne B
Wann: 24.05.2012 bis 02.06.2012
Bereiche: Theater, Observer in Residence Perikles Monioudis
Die Kritik
Zu dieser Veranstaltung wurde eine weitere Kritik verfasst.
Von Perikles Monioudis, 5.6.2012
Nun gab es, was er fast schon vergessen hatte, am Drehgestell des Kiosks nicht nur die Lustigen Taschenbücher, sondern auch jene Heftchen, grösser im Format, aber wesentlich dünner, die von den amerikanischen Superhelden kündeten; das Mädchen mit der blauen Jacke liess sie seit je links liegen. In Wahrheit hatte sie Angst vor der Lektüre, denn sie ekelte sich vor den Figuren, wie er zufällig vom Bus aus bemerkt hatte; nicht etwa nur vor den verschlagen wirkenden, genauso vor den eigentümlich rot und blau verkleideten Gestalten, die, merkwürdig genug, in enganliegenden, der Tierwelt nachempfundenen Kostümen auftraten, herumflogen, kämpften und, oft und oft, auch siegten. Darunter ein finster aussehender Fledermausmann, Batman, den sie der aufragenden schwarzen Ohren wegen verabscheute – obgleich sie erkannte, dass er einer der Guten war. Er überlegte im Bus, ob diese Fähigkeit zur Unterscheidung dem kindlichen Instinkt des Mädchens geschuldet oder ganz einfach auf die allzu schlichte Natur dieser Heftchen zurückzuführen war – Batman hatte als Junge mit ansehen müssen, wie seine Eltern von Gangstern getötet wurden, und folgte später, traumatisiert, in einer Art Rache als Lebensweise dem doch düsteren Impuls, anderen nur Gutes angedeihen zu lassen, sie eben vom Bösen zu bewahren; etwa vor Joker, seinem Erzfeind, auch er ein Traumatisierter, von der Angst geleitet, der Verlustangst, misshandelt als Kind von seinem Vater, dem Mörder seiner Mutter, der ihm ein Messer in den Mund drückte und dabei die Wangen aufschlitzte zu einem übergrossen Lachen, auf dass der Junge stets fröhlich wirke, wenn er andere umbringt. In diesem falschen Lachen fanden Joker und Batman antagonistisch zueinander, ganz Gegensatzpaar, steif und fest in ihrer Überzeugung, das – gleich für die Menschheit – Richtige zu tun.
In der Blauen Stunde wirkte das Theater der Künste in der Gessnerallee so starr wie die Kasernenstallung, die es einst gewesen war. Er stieg aus dem Bus, ging über die Brücke, erreichte das Gebäude. Im Innern traf er auf Batman und Joker. Er hatte sie erwartet. Sie spielten ihr wortreiches Spiel, der Fledermausmann und der gewalttätige Verrückte mit den roten Haaren, aber sie spielten es hier ein letztes Mal; der finale Kampf zwischen Gut und Böse endete mit der – tatsächlichen oder vermeintlichen – Läuterung der Figuren, ganz so, wie sich das die inspirierte Regisseurin Laura Koerfer und ihre sechs Schauspieler eben ausgedacht und einander unter Zuhilfenahme von Textpassagen aus unterschiedlichen Werken (von Buddha über Nietzsche bis Shakespeare) gegenseitig in den Mund gelegt hatten – mit einer je persönlichen Abkehr oder fast mit einer solchen, mit Comicfiguren, die sich zu Charakteren entwickelt hatten, zur Einsicht oder zumindest zur Introspektion befähig, die auch so weit gehen konnte, dass die Spielenden einander als Spielende ansprachen, ihrer Rolle entledigt. Batman hegte für seinen Widersacher (den beeindruckenden Claudio Gatzke) keinen Hass mehr, sondern Mitleid, wo doch der Comic keine Entwicklung in den Figuren kennt und keine Sprache ausser seiner selbst. Koerfer und die Spielenden (Yanna Rüger überzeugt als herrlich manipulativer Weisser Clown) haben das Gegenteil bewiesen, denkt er, wieder im Bus, nunmehr durch die Nacht. Der Kiosk hatte zu.
«Batman Genesis», Fragmente aus dem Mythos. Von Absolventen und Studierenden der ZHdK. Regie: Laura Koerfer. Mit Mehmet Atesci, Claudio Gatzke, Urs Humbel, Maximilian Kraus, Yanna Rüger, Rahel Sternberg. Theater der Künste, Gessnerallee, Bühne B. Fünf Aufführungen zwischen dem 24. Mai und dem 2. Juni. Besuch am 31. Mai 2012.