Weniger ist nicht immer mehr

Die Veranstaltung
Was: Not my Piece / postcapitalism for beginners
Wo: Gessnerallee Zürich
Wann: 13.12.2012 bis 15.12.2012
Bereiche: Performance, Tanz
Die Autorin
Gabriele Spiller: Kulturvermittlerin, Journalistin und Autorin: http://gabriele-spiller.jimdo.com
Die Kritik
Lektorat: Elena Ibello.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Theaterhaus Gessnerallee (siehe Unabhängigkeit).
Von Gabriele Spiller, 14.12.2012
Wer ist schon vorbereitet auf den Tag X, wenn kein Strom mehr fliesst und kein Wasser mehr aus dem Hahn kommt? Der Schauspieler und Tänzer Martin Schick hat darüber nachgedacht und stupst den Zuschauer an, es ihm nachzutun. Der Titel seines Stücks, «NOT MY PIECE» (postcapitalism for beginners) signalisiert bereits, dass ihm nichts allein gehört. Die «Half Bread Technique» – gib jemandem, der es nötig hat, die Hälfte von etwas, das dir gehört – soll ein Anfang sein.
Doch es bleibt nicht bei Gedankenspielen. Schick und sein Mitperformer Kiriakos Hadjiioannou zeigen auf der Bühne des Theater Gessnerallee Zürich, wie man für Strom auf dem Hometrainer trampelt und gesammeltes Regenwasser in PET-Flaschen verkauft. Nein, nicht ganz. Schick leiht sich den 10 Franken-Schein nur im Publikum. Das Geld gerät in einen Kreislauf, der bald nicht mehr zu überblicken ist. Wie im gespielten Witz, wo die 100 Franken Depot für den griechischen Hotelier vom Bäcker über den Bauern, den Mafiosi, den Politiker, zur Prostituierten und wieder an den Hotelier gelangen. Letzterer muss das Depot an den unzufriedenen Schweizer Touristen zurückzahlen. So ist schon nach wenigen Handwechseln nicht mehr klar, wer hier eigentlich an wem verdient.
Wer zahlt, bestimmt
Hadjiioannou, den Schick – so heisst es – bei einer Tanz-Audition in Athen aufgelesen hat, ist der exemplarische Grieche. Er leidet Hunger, er muss tanzen und andere Aufgaben erfüllen, um einen Gegenwert zu erhalten. Anhand dieser Demonstrationen erklärt Schick den Postkapitalismus, die Zeit nach dem herrschenden Kapitalismus. Das Erfrischende dabei ist seine Selbstironie; seine scheinbar naive, überraschende Art, die Dinge zu hinterfragen. Er nimmt sich 90 Minuten Zeit zum Erklären, und das Publikum folgt ihm gespannt.
«Mindstretching», eine Technik, die zu mehr Lebenskompetenzen führt, absolviert er ruhend auf der Gartenliege. «Urban Farming», seiner lokalen Lebensmittelproduktion in der Stadt, würde sich wohl jeder anschliessen. Doch die fäkaliengedüngten Karotten vom eigenen Grundstück sind nicht jedermanns Geschmack. Jedenfalls nicht, solange das Trocken-Klo noch in Sichtweite auf der Bühne steht.
Eine Farce mit Lerneffekt
Im inszenierten San Keller Learning Center, benannt nach seinem künstlerischen Mentor, erteilt Schick lustvolle Lektionen. Sagte Margaret Thatcher noch: «TINA – There Is No Alternative», so präsentiert der Fribourger «TAMARA – There Are Many Awesome Realistic Alternatives». Die Performance lebt vom Einbezug der Zuschauer, von Realitätsnähe und Glaubwürdigkeit. Grenzen und Scheitern der alternativen Ideen werden mitgedacht. Vor dem Theater steht währenddessen ein trashiger Verkaufskiosk unter dem Motto «Greece for Sale». Erinnerungsstücke wie Fotos, altmodische Süssigkeiten und Geissenglocken werden feilgeboten. Der Ausverkauf einer Heimat hat begonnen. Es nützt nichts, sich auf die eigene Scholle zurückzuziehen. Teilen und Mitmachen ist der Lösungsvorschlag, den Martin Schick in die Runde wirft. Damit geht er auch zu den Schweizer Tanztagen 2013 nach Basel. Die gezeigte Farce dürfte bis dahin nicht an Aktualität verloren haben.