Mehr Sein als Schein

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Naoko Tanaka: Die Scheinwerferin
Wo: Rote Fabrik, Shedhalle
Wann: 24.08.2012 bis 26.08.2012
Bereiche: Performance, Theater Spektakel 2012

Theater Spektakel

Kulturkritik ist Partner des Theaterspektakels 2012. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.

Die Autorin

Patricia Schmidt: Jahrgang 1985, studierte Publizistik, Politik und Literaturwissenschaft in Zürich, arbeitet im Consulting.

Die Kritik

Lektorat: Dominik Wolfinger.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Theater Spektakel (siehe Unabhängigkeit).

Von Patricia Schmidt, 27.8.2012

Ihr Gesicht ist verborgen, als die Zuschauer den Raum betreten. Naoko Tanaka sitzt im Halbdunkeln an einem kleinen Tisch, ihren Kopf auf die Tischplatte gelegt und durch ihre Arme geschützt. Nur ihre Haare sind sichtbar. Lange harrt sie in dieser Position aus, um sich dann umso abrupter vom Tisch und der darauf liegen Puppe – ebenso starr und regungslos wie die Künstlerin gerade eben selbst – zu lösen.

Das Unterbewusste als Tableau Vivant

Was folgt ist kein einfaches Schattenspiel, sondern eine Installationsperformance, welche Choreographie und visuelle Kunst verbindet. Als das Deckenlicht ausgeht und nunmehr nur die kleine Glühbirne in Tanakas Hand den Raum beleuchtet, wirft die Künstlerin als menschlicher Projektor verstörende Bilder an die Wand und entführt uns auf eine Reise in die Tiefen des menschlichen Unterbewusstseins.

Schnell wird klar, Tanaka trennt sich hier sinnbildlich von sich selbst, um sich selbst erkennen zu können. Sie wagt sich in den Sumpf aus Erinnerungen und Gefühlen und verarbeitet so die persönliche Geschichte ihrer Magersucht. Begleitet von einer hypnotisierenden Geräuschkulisse aus Hundegebell, fahrenden Zügen, plätscherndem Wasser und Herzklopfen, spaziert Tanaka durch Wälder, kreuzt Bahngleise und sperrt ihren Schatten in einen Vogelkäfig. Dabei scheint ihr Körper, symbolisiert durch die Puppe, gegen die atemberaubende Schattenwelt verschwindend klein, bleibt jedoch auf dem Tisch liegend immer präsent und fassbar. Es ist die Reflexion von Licht und Schatten, Körper und Seele, Bewusstsein und Unterbewusstsein die hier im Zentrum steht.

Die Flüchtigkeit der Reflexion

Erst als alle Lichter nach Ende der Performance im Raum angehen, wird sichtbar, mit welch einfachsten Mitteln Naoko Tanaka die Zuschauer auf ihre Reise entführte – so finden sich unter und um den Tisch lediglich etwas Pappkarton, Besteck und einige Filmstreifen. Während diese Objekte immer wieder und aus anderen Winkeln beleuchtet werden, rücken sie gleichzeitig in den Hintergrund. Ihre Schatten tanzen, verzerren sich und kaum werden sie an die Wand geworfen, sind sie bereits nicht mehr. Es ist die Flüchtigkeit der entstehenden Bilder, ihre Nichtreproduzierbarkeit, die Tanakas Kunst ausmachen.

„Ich bin Naoko Tanaka und spiele jetzt die Scheinwerferin“ stellte sie sich nach der Eingangsszene in japanisch höflicher Manier vor. Die in Deutschland lebende Naoko Tanaka studierte bildende Kunst an der Hochschule der Künste in Tokio und kam 1999 als Stipendiatin an die Kunstakademie Düsseldorf. Als Mitbegründerin des Künstlerkollektivs Ludica entwickelte sie zahlreiche Bühnen- und Tanzperformances mit. „Die Scheinwerferin“ ist nun das erste Solo der Künstlerin und zugleich ihre persönlichste Performance.

Mit Hilfe des Instrumentes Licht erschafft Naoko Tanaka nicht nur Bilderwelten, sondern in erster Linie Gedankenwelten. Es entsteht so eine immer neue Komposition von Bildern, welcher jeder Zuschauer selbst zu einem Gesamten zusammenfügt und somit unvermeidlich die eigene Geschichte reflektiert. Eine gekonnte und einnehmende Performance, die auch nach Ende noch lange Schatten wirft.

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