Mehr als nur Stimmen

Die Veranstaltung
Was: Marta Górnicka: Hier spricht der Chor
Wo: Theater Spektakel, Nord
Wann: 16.08.2012 bis 17.08.2012
Bereiche: Theater, Theater Spektakel 2012
Theater Spektakel
Kulturkritik ist Partner des Theaterspektakels 2012. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.
Der Autor
Dominik Wolfinger: Dominik Wolfinger ist geboren und aufgewachsen im Fürstentum Liechtenstein. Nach der Sekundarschule schloss er eine Lehre als Chemielaborant ab. Seit 2010 studiert er an der Zürcher Hochschule der Künste Dramaturgie.
Die Kritik
Lektorat: Fabienne Schmuki.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Theater Spektakel (siehe Unabhängigkeit).
Von Dominik Wolfinger, 17.8.2012
«Sei eine Frau» ertönt es aus den 25 Mündern des Chores. Doch was bedeutet es, eine Frau zu sein? Eine Frage, die die polnische Regisseurin und Sängerin Marta Górnicka beschäftigt. 2009 stellte sie einen Sprechchor, bestehend nur aus Frauen, zusammen. 2010 demonstrierte Górnickas Chor mit dem Stück «Hier spricht der Chor» erstmals die unzähmbare Kraft der weiblichen Stimmen und gewann eine Auszeichnung für die beste Inszenierung im Bereich Musiktheater sowie eine weitere in der alternativen Theaterszene in Polen. Auch am Zürcher Theaterspektakel sprach der Chor nochmals und erntete nebst tosendem Applaus auch eine Nomination für den ZKB Förderpreis.
Formenreicher Gesang
Stramm und konzentriert ruhen die 25 unterschiedlichen Frauen mittig auf der Bühne in der Form eines Keils. Eisern steht Marta Górnicka vor dem Chor und beobachtet diesen beharrlich. Mit einer zackigen Bewegung hebt Górnicka ihre Hand, sodass sich die Stimmen der Frauen erheben. Absolut synchron beginnen die Frauen sich zu bewegen und zu sprechen. Die gebündelte Energie der Stimmen fesselt akustisch die Zuschauer. Zu Beginn wird ein einfaches Rezept aufgesagt. Dabei brechen die Sängerinnen aus ihrer anfänglichen strengen Formation aus und beginnen mit schauspielerischen Akzenten ihren Gesang zu färben. Allen voran leitet Górnicka als Dirigentin, oder mehr als Dompteurin, mit präzisen Gesten den Chor. Immer leidenschaftlicher singen und sprechen die Choristinnen und verwenden Formen vom Gregorianischen Chor über den Popsong bis zum Gospelchor. Mit eindrücklicher Präzision variieren die Damen mit ihren ungleichen Stimmen zwischen verschiedenen Gesangsarten und lassen dabei an Deutlichkeit und Entschlossenheit nicht fehlen.
Ambivalente Textfragmente
Feminismus gilt in Polen häufig noch als lächerliche, aus dem Westen importierte Ideologie. Mit der komplexen Partitur, die Górnicka für ihr Stück zusammengestellt hat, kritisiert sie die zeitgenössische Sichtweise auf die Frau und macht Weiblichkeit zum Kernthema. Die Textfragmente, unter anderem bestehend aus Werbespots, Filmzitaten und Theaterliteratur, geben die Problematik der modernen Frau wieder. «Sei brav, sei klug, sei sexy» rufen einzeln die Frauen und erzählen davon, dass sie Prinzessinnen auf Coverphotos sind und nur auf ihren Prinzen warten. Auch Lara Croft, die Heldin aus den «Tomb Raider»-Spielen, wird zitiert und als Traumfrau dargestellt. Auf ganz unterschiedlichen Varianten nähern sich die Frauen den Texten und erzählen Geschichten oder repetieren immer wieder einzelne Sätze. Inhaltlich bleiben die Sängerinnen immer bei sich selbst. Kein Angriff wird auf das männliche Geschlecht verübt. Vielmehr zeugt der Text von Ambivalenz und zeigt die Schwierigkeiten der Frau, die zwar sexy sein und doch in der Gesellschaft nicht nur als ein Körper wahrgenommen werden will; und dies in einer Gesellschaft, in der Medien wissen, wie eine Frau zum Objekt gemacht wird. Doch wo beginnt Weiblichkeit und wann ist eine Frau wahrhaftig eine Frau? Auch Górnickas Frauenchor kann die Antworten auf diese Fragen nicht geben. Was aber die Choristinnen geben können, sind Stimmen, die sich zu einer eigenen zusammenfügen und über die Rolle der Frau sprechen. Eine starke Stimme, die gehört werden will und die gehört werden sollte.