Freiheit ist ...

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: kraut _produktion: Freiheit ist, das Theater...
Wo: Fabriktheater
Wann: 18.08.2012 bis 22.08.2012
Bereiche: Theater, Theater Spektakel 2012

Theater Spektakel

Kulturkritik ist Partner des Theaterspektakels 2012. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.

Die Autorin

Valérie Wacker: Jahrgang 1983. Pflegt Mikro-Teile des World Wide Web und ihren Kontakt zur realen Welt. Studiert an der ZHdK im Master Art Education, Vertiefung publizieren & vermitteln und davor an der ZHaW Journalismus und Kommunikation.

Die Kritik

Lektorat: Elena Ibello.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Theater Spektakel (siehe Unabhängigkeit).

Von Valérie Wacker, 21.8.2012

… bis zum bitteren Ende zu bleiben. Gerade weil bei der aktuellen kraut_produktion «Freiheit ist, das Theater auch einmal vor Ende der Vorstellung verlassen zu dürfen». Die Gruppe startete den zweiten Abend ihrer fünftägigen «Absage an sichere Werte» mit 20 Zuschauern. Am Schluss waren noch zwei da.

Es war wie an einer Probe: Die Beleuchterin werkelt noch im Bühnenbild herum und verlegt Kabel, Regisseur Michel Schröder unterbricht die Einstiegsszene: «Das geht so nicht. Ich weiss auch nicht.»

Schröders Schauspieler stehen in einem Chaos aus Bühnenbildresten vergangener Stücke. Aus «Babylon», zum Beispiel, der Schimmel-Kühlschrank und die Toilette. Vieles ist beschädigt, wohl bereits am ersten der fünf Abende dem Tatendrang von Schauspielerin Sandra Utzinger und ihrer Kettensäge zum Opfer gefallen. Zwei Zuschauer haben sich die Freiheit genommen, etwas später zu kommen.

Zu viel Freiheit?

Regisseur Michel Schröder arbeitet normalerweise sehr genau, sagen die Schauspieler. Aber in dieser Produktion will er ihnen Freiheit lassen. Vermutlich nicht ganz so viel, wie sie sich bald nehmen werden. Jeder der fünf Abende am Theater Spektakel soll anders sein. Gestern soll die Vorstellung gut besucht gewesen sein.

Solange Tommi Zeuggin seine unglaublichen, ekstatischen Tänze aufführt, Herwig Ursin seinen Familien-Dia-Vortrag hält, und Kaspar Weiss den künstlerischen Wert seines ausgemisteten Kellerrats anpreist, scheint die Show zwar frei, aber durchaus inszeniert. Weiss hat gerade angekündigt, dass man seine Kellerfundstücke beim Ausgang mitnehmen dürfe, darunter angeblich wertvolle Dinge wie ein seltener Siebdruck. Ein Video wird eingespielt, in dem ein Mann im Anzug Kunst-Anlagestrategien erklärt. Zwei Leute verlassen den Saal.

Die Antwort der freien Szene …

Dabei ist die Frage spannend: Was ist Kunst wert? Schröders T-Shirt mit dem Aufdruck «Die Hälfte» kündigt schon lange an, dass es hier bald ans Eingemachte gehen wird. Die Hälfte der Subventionen streichen, so lautete nämlich die Forderung vom scheidenden Pro-Helvetia-Direktor Pius Knüsel im Buch «Der Kulturinfarkt». Schauspieler und der Regisseur finden zu einer Diskussion über diese Forderung zusammen. Vorher wird aber die Bühne lange umgebaut. Gelegenheit für acht Leute, das Fabriktheater zu verlassen.

… fällt heute aus.

Die Antwort der freien Theaterszene auf den «Kulturinfarkt», fällt an diesem Abend leider aus. Der Gast, den kraut_produktion für diesen Abend eingeladen haben, wird nämlich vom Freiheitsteufel geritten. Thomas U. Hostettler, knapp bekleidet mit roten Boxershorts, trägt rot-weiss geringelte Stulpen und einen Asterix-Schnauz. In der ersten Hälfte sass er mehr oder weniger still auf einem Sofa im Hintergrund. Sein dekadenter Umgang mit Prosecco dürfte den Abend definitiv in die roten Zahlen gerissen haben. Eine Zuschauerin hat ein Glas Prosecco bekommen, zwei andere haben die Show verlassen.

Nun ist Hostettler wild entschlossen, mehr Pep in die Veranstaltung zu bringen, übernimmt die Vorstellungsrunde zum Diskussionseinstieg – und dann die ganze Show. Aus der Performance wird ein «Karaoke from Hell», bei dem nicht alle mitmachen dürfen. Das reduziert die Zuschauerzahl nochmals drastisch: Um 22 Uhr, zwei Stunden nach Spielbeginn, eine Stunde vor Schluss, gehen innerhalb einer Viertelstunde acht Leute.

Die Kraut-Schauspieler nehmen es gelassen, auch sie räumen das Feld. Hostettler und ein Teil der Band musizieren weiter. Schade um die «Kulturinfarkt»-Antwort, sie hätte dem Abend wohl mehr Substanz verliehen. Aber die wilden Einlagen und kuriosen Video-Clips vermögen gut zu unterhalten an diesem Sonntagabend im trashigen Kraut-Universum. Um 22.40 Uhr (früher als angekündigt) erklingt drinnen ein letzter einsamer Flötenton und draussen beim Bier gibt’s einen kleinen Applaus für die letzen beiden Zuschauerinnen.

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