Pianist mit Style

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Klavierrezital
Wo: Tonhalle Zürich
Wann: 12.03.2012
Bereich: Musik

Der Autor

Moritz Weber: Jahrgang 1976, studierte Klavier an den Musikhochschulen in Zürich und München sowie Kulturpublizistik an der ZHdK. Er lebt als freischaffender Konzertpianist, Kulturjournalist und Klavierpädagoge in Zürich.

Die Kritik

Lektorat: Anja Wegmann.

Von Moritz Weber, 14.3.2012

Die Tür ging auf und heraus spazierte ein junger Bursche mit Jahrgang 1995, der aussah wie ein Sonnyboy aus der Nachbarschaft. Lässigen Schrittes ging er über die Bühne und setzte sich mit dem schelmischen Gesichtsausdruck eines Skaterdudes ans Klavier, als wollte er sagen: «Hallo Leute, ich spiele euch jetzt mal ein paar meiner Lieblingsstücke vor, okay?» Kurze Konzentrationsphase und er fing an.

Schon nach wenigen Takten des fis-moll Präludiums von Bach war klar, dass hier kein dressiertes Äffchen am Klavier sitzt, sondern ein ernstzunehmender Musiker.

Glaubwürdige Nonchalance 

«Alles in meinem Leben passiert natürlich!», sagte der blutjunge Kanadier Jan Lisiecki mit seiner entspannt tiefen Bassstimme einmal in einem Interview. Und diese Natürlichkeit hört man auch in seiner Art, zu musizieren: Seine Töne «singen», seine Phrasierungen unterstützen den Fluss der Stimmen, sein Forte ist niemals hart, sein Piano niemals dünn, kurz, die Musik strömt ungehindert durch seinen Körper und durch das Instrument in den Zuschauerraum.

Mit Lust, Courage und jugendlichem Übermut liess er sich während seines Spiels aus dem Moment heraus inspirieren, dass es eine Freude war. Risikobereit in jeder Situation, aber immer im Dienste der Musik. Wo andere lieber auf Sicherheit spielen, wählte er, wenn’s sein musste, auch mal ein rasend schnelles Tempo oder kostete einen Ritardandoübergang bis zum Äussersten aus.

Klanglich konnte Lisiecki mit vielen Farben überzeugen. In der Etüde «Il lamento» von Liszt gelangen ihm bezaubernde Klangwirkungen, die ersten Takte von «Un sospiro» klangen wie das grosse Einatmen vor einem Seufzer und die Melodietöne der c-moll Etüde von Chopin schienen richtig zu glühen vor lauter Intensität.

Durch seine ernsthafte und respektvolle Haltung gegenüber den Werken traf Lisiecki immer den Charakter der einzelnen Stücke: Sowohl die ungestüme Leidenschaft als auch die intimen Töne in der 12. und 14. Variation von Mendelssohn realisierte er mit elektrisierender beziehungsweise berührender Wirkung, die Duftigkeit der F-Dur Etüde von Chopin brachte er cool auf den Punkt oder pfefferte die einkomponierten «falschen Noten» der e-moll Etüde frech in den Raum.

Stil bewies er in der Wahl der Zugaben: Keine endlose Aneinanderreihung von auftrumpfenden Reissern, sondern ein wunderbar persönlich gespielter cis-moll Walzer von Chopin und – mit einem Augenzwinkern – «Alla turca» von Mozart.

Bestechende Aufrichtigkeit

Die Etüdensammlungen von Chopin und Liszt werden von jungen InterpretInnen unter Inkaufnahme eines grossen Risikos gerne ins Konzertprogramm aufgenommen. Dies endet jedoch eigentlich immer in einer bemühenden Zurschaustellung von technischen Fertigkeiten. Spätestens nach fünf Etüden hat unsereins bei einer solchen Darbietung jeweils genug von diesem Muskel-Posing. Nicht jedoch bei Lisiecki: Er kann die Aufmerksamkeit des Publikums halten, weil er es gar nicht nötig hat, seine Überlegenheit zu demonstrieren. Er scheint die Stücke in erster Linie zu spielen, weil er sie über alles liebt und seine Freude an dieser wunderbaren Musik mit anderen teilen möchte. Diese lautere Herangehensweise besticht und sie lässt sich aus jedem Ton seiner Interpretation heraushören. Zugleich entlarvt sie all jene, welche sich mit Tricks aufplustern wollen.

Bitte nichts ändern!

Die Musikwelt kann sich nur wünschen, dass Jan Lisiecki seinen unschuldigen Zugang zur Musik bewahrt, sich so natürlich weiterentwickelt wie bisher und sich auf seinem eigenständigen und vernünftigen Weg nicht beirren lässt. Er wird durch das Älter-Werden und das Musizieren mit guten Musikern von alleine reifen. Die Grösse, welche schon an vielen Stellen aufblitzt, wird mit der Zeit zu einem Charakteristikum seines Spiels werden. Wenn er es schafft, sich nicht verbiegen oder verheizen zu lassen, dann darf man sich auf viele spannende und inspirierende Konzerte mit ihm freuen.

Weiterlesen: