Die Gemeinschaft huckepack nehmen

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Kiguchi Noriyuki & Akumanoshirushi: The Carry-in-Project #8
Wo: Theater Spektakel, Landiwiese
Wann: 24.08.2012 bis 26.08.2012
Bereiche: Performance, Theater Spektakel 2012

Theater Spektakel

Kulturkritik ist Partner des Theaterspektakels 2012. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.

Die Autorin

Elena Ibello: 1982 geboren, seit 2003 freie Journalistin. Im Master-Studium Art Education, publizieren&vermitteln, an der ZHdK.

Die Kritik

Lektorat: Gabriel Flückiger.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Theater Spektakel (siehe Unabhängigkeit).

Von Elena Ibello, 25.8.2012

Das Vorhaben ist simpel: Eine Gruppe von Künstlern trägt zusammen mit Besuchern des Theater Spektakels eine Skulptur über die Landiwiese, über die Brücke bis zur Saffa-Insel. Die Skulptur ist ein stumpfer Winkel, bestehend aus lauter zusammenmontierten Bierharassen, jeder Schenkel des Winkels schätzungsweise zehn Meter lang.Das Ding ist schwer. Die Umsetzung der simplen Idee hängt von gewissen Bedingungen ab. «Wir brauchen allermindestens zehn Leute, um das zu transportieren», sagt Kiguchi Noriyuki, der Kopf der japanischen Künstlergruppe Akumanoshirushi. Um 19.15 Uhr, eine Viertelstunde nach dem angekündigten Start, stehen gerade einmal zwei Frauen da, jede knapp 1 Meter 60 gross. Dazu sechs Mitglieder von Akumanoshirushi, zwei von ihnen tragen Turbinenbräu-T-Shirts. Graue Wolken hängen am Himmel, hin und wieder sind kleine Tropfen zu spüren. Die grosse Aufmerksamkeit gehört zudem einem Strassenkünstler ein paar Meter weiter. Sein Beitrag hätte laut Plan schon fertig sein müssen. Man wartet und betrachtet ehrfürchtig die zu transportierende Skulptur. – Und das Modell im Massstab 1:20, das preisgibt, worin die logistische Schwierigkeit des Unterfangens bestehen wird, wenn man einmal soweit ist. Die riesige Skulptur ist weitaus breiter als die Brücke, die die Landiwiese mit der Insel verbindet und die zudem auf der einen Seite von schmalen Pfosten gesäumt ist.

Als sich die Menschenmenge nebenan endlich auflöst, hebt Kiguchi Noriyuki sein Megafon an die Lippen und ruft in gebrochenem Deutsch: «Hoi zäme! Hoi zäme! Wir suchen noch Arbeitskräfte! Es gibt Gratisbier!» Und tatsächlich geht es wenige Minuten später zur Sache. Etwa 15 Leute packen an. Die Skulptur, die Akumanoshirushi zusammen mit Szenografie-Studierenden der ZHdK entworfen hat, schwebt sofort in der Luft. Die aneinander geketteten Harassen auf den Schultern und Händen der Spektakelbesucher müssen aussehen wie ein starrer Tausendfüssler. Kiguchi Noriyuki gibt Anweisungen. «Rechts! Geradeaus! Stopp! Links! Stopp!» Wer dem Tausendfüssler auf der Landiwiese in die Quere kommt, duckt sich, um nicht gerammt zu werden. Die Gruppe bahnt sich einen Weg durch die Menschenmenge und ihre Mitglieder kommen nicht umhin, miteinander zu kommunizieren, damit kein Unglück geschieht. Bald stöhnen die ersten unter der Last. «Pause!» ruft Kiguchi Noriyuki kurz vor der Brücke und lässt die Tragenden die Skulptur abstellen.

Probleme gemeinsam tragen

Das «Carry-in-Project» am diesjährigen Theater Spektakel ist bereits die Nummer 8 seiner Art, wenn auch das erste in der Schweiz. Auf die Idee kam der studierte Architekt Kiguchi Noriyuki bei seinem Nebenjob auf dem Bau, was in Japan viele seiner Gilde aufgrund der Arbeitsmarktlage zu tun gezwungen sind. Dort verdient er sein Geld als Lastenträger und er sagt, seine Kollegen fänden nicht nur immer wieder originelle Strategien, grosse Gegenstände auf den Baustellen herum- und in Gebäude hineinzutragen, sondern ihre Bewegungen sähen dabei auch noch aus wie ein aussergewöhnlicher Tanz. Das inspirierte Kiguchi Noriyuki. «Es bereitet einem eine schlichte Freude, zusammen mit anderen etwas zu tragen, etwas von einem Ort zu einem anderen zu transportieren.» Auch die traditionellen japanischen Shinto-Feste, bei denen die Menschen gemeinsam einen Schrein auf ihren Schultern durch die Strassen tragen, haben den jungen Künstler, der auch als Regisseur Bühnenprojekte realisiert, angeregt.

So gekonnt und ästhetisch wie auf dem Bau läuft es in Zürich auf der Landiwiese wohl nicht. Aber das ist Wurscht. Die Ästhetik wird der Partizipation des Publikums untergeordnet. Längst sind alle miteinander ins Gespräch gekommen, Zuschauer haben sich um die Skulptur und ihre Träger geschart. Diese sprechen Passanten an, bitten um Hilfe und nach der Pause sind es bereits mindestens 30 Leute, die mitmachen.

Kiguchi Noriyuki wünscht sich, das Carry-in-Project einmal in einem Konfliktgebiet durchzuführen. Menschen, die sich sonst bekämpfen, sollen gemeinsam anpacken. Wenn wir miteinander diskutieren, suchen wir Lösungen für Probleme und versuchen mühsam, uns zu einigen. «Ich glaube, wir könnten das Problem jeweils auch als Objekt sehen und es gemeinsam tragen. Das könnte ein Weg sein, bessere Lösungen für alle zu finden», so Kiguchi Noriyuki.

Es geht auch einfacher

Die Aufgabe auf der Landiwiese ist dann schneller geschafft als erwartet. Die Bedingungen waren hier insgesamt einfacher als in den bisherigen Projekten, die allesamt in Japan stattgefunden haben. Diesmal wurde das Objekt nicht durch einen Eingang in ein Gebäude hinein transportiert und die Skulptur ist in ihrer Form viel simpler gestaltet. Durch das offene Gelände, nur mit der Brücke und der Menschenmasse als Hindernisse, ging das Zirkeln leichter. «Dafür haben wir die Skulptur vom Gewicht her schwerer gemacht als sonst», sagt Kiguchi Noriyuki und lächelt ein entschuldigendes Lächeln. Fürwahr: Man wird morgen spürbar daran erinnert werden. Das wiederum sorgt für weiteren Gesprächsstoff. Das Konzept funktioniert also offenbar auch in dieser Form. Nach der Performance steht man beisammen, trinkt das verdiente Bier und plaudert. Kiguchi Noriyuki strahlt. «Morgen gibt’s ausser Bier auch noch Orangensaft. Ich hatte nicht mit so vielen Kindern gerechnet, die auch mithelfen beim Tragen!»

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