Akkuratesse statt Raffinesse

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Kammermusik-Soirée
Wo: Tonhalle Zürich
Wann: 11.03.2012
Bereich: Musik

Der Autor

Moritz Weber: Jahrgang 1976, studierte Klavier an den Musikhochschulen in Zürich und München sowie Kulturpublizistik an der ZHdK. Er lebt als freischaffender Konzertpianist, Kulturjournalist und Klavierpädagoge in Zürich.

Die Kritik

Lektorat: Lukas Meyer.

Von Moritz Weber, 12.3.2012

Die Programm-Konzeption dieser Kammermusik-Soirée im kleinen Tonhallesaal schien primär zwei Absichten zu verfolgen: Erstens die Präsentation der kammermusikalischen Fähigkeiten des diesjährigen «Artist in Residence» Martin Helmchen, zweitens die Vorstellung der Bläsersolisten und Streicherstimmführer des Tonhalleorchesters.

Aus diesem Grund hatte der erste Teil des Konzertes etwas von einem gemischten Bläser-Vortragsabend an einer Musikhochschule. Die Vortragenden spielten ihre Stücke jedoch überzeugend: Simon Fuchs imponierte in Schumanns Romanzen mit seinem wunderbar gesanglichen Oboenton und erstaunlich langem Atem, Michael Reid spielte klug, sorgfältig und unprätentiös die aphoristischen Klarinettenstücke von Alban Berg.

La flûte enchantée

Den fulminantesten Auftritt der ersten Konzerthälfte hatte die französische Flötistin Sabine Poyé Morel, welche mit den Schubertschen Variationen ein Feuerwerk an Klangfarben und die Technik transzendierender Virtuosität zündete. Mit musikantischem Feinsinn und bisweilen auch mit etwas Ironie – in der für heutige Ohren irgendwie komisch klingenden Marsch-Variation – brachte sie ihren Part mitreissend auf den Punkt. Nach der 5. Variation hätten einige Zuhörer am liebsten einen Zwischenapplaus gegeben! Die engagierte Flötistin schickte während des Spiels kontaktsuchend fragende und erwartungsvolle Blicke in Richtung Klavier: «Spielt da nicht noch jemand mit?», schien sie sich zu fragen. Eigentlich ja, aber der Pianist hielt sich kammermusikalisch (zu) dezent im Hintergrund. Er spielte zwar äusserst zuverlässig und mit grösster Präzision in allen drei Werken, jedoch kamen von ihm kaum inspirierende Impulse.

Das Korsett der Kontrolle

Alfred Brendel hat einmal gesagt: «Kontrolle kann auf dem Spiel sitzen wie ein Panzer, ein Korsett oder ein gut geschnittener Massanzug.» Obwohl Martin Helmchen in Brendel ein grosses Vorbild sieht, scheint er dessen Warnung nicht zu hören. Sein Klavierspiel wird vielmehr geprägt durch den genannten Panzer, welcher ihm zu einer tadellosen Realisierung des Notentexts verhilft. Jedoch geht ob dieser Akribie die Sinnlichkeit und der Charakter der Musik meistens verloren. Dies zeigte sich auch im Klavierquintett von Brahms: Während sich die allesamt ausgezeichneten Streicher mit Verve und Geschmack dem musikalischen Strom hingaben, beharrte Helmchen beckmesserisch auf Artikulationen und metronomisch starrem Tempo. Diese unterschiedlichen Haltungen ergaben bisweilen sogar groteske Klangeffekte, besonders an den lyrischen Stellen im ersten und im zweiten Satz. Anstatt die Streicher zu untermalen oder mit ihnen zu interagieren, stand Helmchen immer wieder mit unpassend charakterisierten Tönen und seinem oft metallischen Forte im Abseits.

Der Zweck heiligt die Mittel

Einen Grund für diese sterile Art des Musizierens könnte in der Vita des Pianisten zu finden sein: Wer in renommierten Konzertreihen spielen will, muss Wettbewerbserfolge vorweisen können. Wer viele Wettbewerbe und Preise gewinnen will muss in erster Linie über ein Klavierspiel verfügen, bei welchem sich in technischer Hinsicht nichts beanstanden lässt und welches nirgends aneckt. Dies dürfte Helmchen von seinen Lehrern gelernt haben, welche in der Szene bekannt sind für ihre Umtriebigkeit in Wettbewerbsjurys. Doch artistische Perfektion ist nur eines der Qualitätsmerkmale einer musikalischen Aufführung, und sie macht noch keinen Künstler. Diese Erkenntnis scheint im klassischen Musikzirkus jedoch – leider – etwas in den Hintergrund geraten zu sein.

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