Jenseits von Papageno

Die Veranstaltung
Was: Gruppenausstellung Vogelfang/fowling
Wo: Kunstraum Bellerive
Wann: 07.06.2012 bis 15.06.2012
Bereiche: Bildende Kunst, Performance
Der Autor
Tilman Hoffer: Jahrgang 1988. Studierte Soziologie, Philosophie und Literarurwissenschaft an der Universität Zürich, gegenwärtig Geschichte und Philosophie des Wissens an der ETH. Ist literarisch tätig.
Die Kritik
Zu dieser Veranstaltung wurde eine weitere Kritik verfasst.
Lektorat: Lukas Meyer.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Kunstraum Bellerive (siehe Unabhängigkeit).
Von Tilman Hoffer, 10.6.2012
Der Kunstraum Bellerive, der die Gruppenausstellung fowling/Vogelfang beherbergt, hat eher Katakombencharakter. Man betritt ihn durch den Nebeneingang einer herrschaftlichen Villa und ist froh über die ersten Vogelskulpturen, an denen man merkt, dass man sich nicht verlaufen hat. Innen macht alles einen sehr improvisierten Eindruck, und die Verteilung der Werke auf die einzelnen Kellerräume erscheint ein wenig willkürlich. Die allgemeine Lockerheit wirkt zunächst sympathisch (alternativ und so), aber während man die verschiedenen Grafiken, Videos und Installationen betrachtet, wünscht man sich nach und nach doch etwas mehr Ordnung, um nicht sagen etwas mehr Respekt vor dem Werk. (Ist es spiessig, wenn man in einer Ausstellung keine Hunde antreffen möchte – keine Exponate, sondern Besuchshunde? Oder der Meinung ist, dass man in stark hallenden Räumen besser den Mund halten sollte, ausser man hat etwas wirklich, wirklich Geistreiches anzubieten? Das kann man aber natürlich nur teilweise den Organisatoren anlasten, es fällt genauso ins Register Zuschauerkritik.)
Das Fangen von Vögeln erweist sich indessen als erstaunlich ergiebiges Thema. Es scheint zwar automatisch ein Aufeinanderprallen von Tier und Mensch, Technik und Natur zu implizieren, auf jeden Fall nicht gerade eine glückliche Symbiose. Doch es lässt eine grosse Bandbreite zu – vermutlich, weil die Konnotationen von Vögeln sehr unterschiedliche Sichtweisen evozieren können (man braucht hierfür nur das Gedankenexperiment zu machen, was einem bei dem Wort Lerche einfällt, was bei dem Wort Taube und was bei dem Wort Geier). Manche der ausgestellten Werke sind eher direkt, andere befremdlich, manche sind beides. Einige wagen es sogar, schlichtweg die Schönheit der Tiere in den Vordergrund zu stellen.
Abwesenheiten und Angriffe
Sie sind aber natürlich in der Minderheit. Ebenso ist die konträre Position vertreten, nämlich die Abwesenheit der Vögel überhaupt. Die ready-made-Ästhetik der Installation von Ewa Pilakowski etwa (Metallgerippe, Antennen) verbreitet einen dumpfen, grauen Geschmack von entzauberter Zivilisation: Vielleicht fängt man etwas mit diesem Zeug, aber wenn nicht… Ähnlich eine andere Skulptur, die zwar «rock ‘n’ roll» betitelt ist, aber aus unverarbeitetem Holz, Stein und Stacheldraht besteht und dem Betrachter zuzuflüstern scheint: Wenn du sie haben willst, baue erstmal einen Käfig!
Anders als diese trotz allem recht braven Exponate findet man jedoch auch Werke, die die Zerstörung thematisieren, oder vielmehr: selbst Zerstörungen vollziehen, also gewissermassen Zerstörungen sind. Das Werk «Mutter Amerika» etwa breitet auf einer Holztafel eine schrille Verwüstung aus Farbe, Glassplittern und geschmolzenem Plastik aus; man kann hier, wenn man es darauf anlegt, noch die zerfledderten Reste eines Vogels erkennen, doch tatsächlich gewinnt das Material derartig die Oberhand, dass das Figürliche nur noch als vage Erinnerung nachhallt. Einen ähnlichen, wenn auch etwas milderen Effekt vermittelt das Werk der Künstlergruppe U5, wo ein zermatschtes Küken eine in Gold eingerahmte amerikanische Flagge zu zerteilen scheint (das ist zwar witzig, aber nur auf den ersten Blick).
Anthropomorphismen, Technomorphismen
Eine andere Herangehensweise offenbaren die Collagen der Amerikanerin Whitney Sparks, wo die Vögel, die im Winter nach Süden ziehen, überlappt werden mit Karten über menschliche Migrationsbewegungen, Darstellungen fremder indigener Völker und moderner Flugzeugtechnologie. Der Mensch wird eingemeindet in den migrierenden Teil der Natur. «Und was fängst du nun an? Wie willst du leben? – Wie Vögel, Mutter» (Macbeth, Akt IV). Als hätten wir noch die Wahl. Der Vogelfang, die Zivilisierung, erscheint hier plötzlich als Rückkoppelung, die auf die Lebensweise des Menschen selbst verweist. Und zwar mit einer gewissen Raffinesse, die anderen Positionen, bei denen Menschen zu Vögeln gemacht werden, manchmal abgeht.
Es darf, wie immer in der Kunst, einfach nicht zu gewollt erscheinen. Genau das ist das Beeindruckende an dem Bild «Ornitholokalypse» von Ekin Senan: Man hat nicht das Gefühl, es wolle einem irgendeine Botschaft vermitteln. Die Grafik zeigt ein Wirrwarr von Vögeln in unterschiedlichen Stadien ihrer Zerlegung; doch trotz der unruhigen, dynamischen Komposition wirkt nichts daran aufdringlich. Es handelt sich nicht um eine orgiastische Zerstörung; vielmehr erkennt man bei näherem Hinsehen in den Zergliederungen ein Zerfliessen von Natur und Technik (Cyborgvögel, sozusagen), sodass die organischen Formen in die Ästhetik von Bauplänen und Konstruktionszeichnungen übergehen. Sicher, chaotische, verstörende Phantasien, die jedoch mit einer knallharten naturalistischen Präzision umgesetzt werden, die an den Surrealismus erinnert. Warum wirkt diese Art der Auseinandersetzung so viel stärker? Vermutlich, weil die Zerstörung hier frei von Affekten und Ressentiments erscheint; anders gesagt, sie ist bei aller Raserei von grosser Zielstrebigkeit. Man erkennt die Ideen, doch man merkt auch in aller Deutlichkeit, dass ein Kunstwerk nicht nur aus Ideen besteht, sondern seine eigene Wirklichkeit schafft. Und in Erinnerung bleibt.
Draussen wurde es inzwischen dunkel. Die Vögel am See zwitscherten, als wäre nichts geschehen.