Ein Faust – Zwei Gegenspieler – Drei Stücke

Die Veranstaltung
Was: Faust 1-3
Wo: Schauspielhaus Zürich
Wann: 08.03.2012
Bereich: Theater
Die Autorin
Nadine Burri: Jahrgang 1981, studierte Germanistik und schreibt an einer Dissertation zu alter Geschichte und Literatur, Redaktionsmitglied des Elfenbeintürmers (Historikermagazin der Universität Zürich)
Die Kritik
Lektorat: Moritz Weber.
Von Nadine Burri, 10.3.2012
Die Bühne ragt weit in die Zuschauerreihen hinein. Ein hölzernes, quadratisches Konstrukt mit einer kargen Glühbirne in der Mitte stellt das «enge Bretterhaus» dar. Eine Distanz zwischen Bühne und Publikum wird von Anfang an verweigert. Die beiden Akteure – Faust und sein Alter Ego Mephisto – suchen die Nähe zum Volk. Am Bühnenrand stehend treten sie gleich zu Beginn in Kontakt mit den Zuschauern. Die Angst der Schauspieler vor dem «belesenen Publikum» wirft bei ihnen die Frage auf, wie der allseits bekannte Faust neu inszeniert werden könnte: «Wie findet man einen frischen Blickwinkel, der dem Volk gefällt?» Der Zuschauer wähnt sich zwar erst in Goethes «Vorspiel auf dem Theater», doch bereits hier wird deutlich, dass für das gesamte Stück die Frage nach neuen Perspektiven zentral ist.
Das Stück konzentriert sich stark auf Worte, auf ihren Sinn oder Unsinn, ihre Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten. Die eng am Originaltext bleibenden Sätze fliegen zwischen den Akteuren wie Spielbälle hin und her, während lediglich kleine Gesten und dezente Mimik das Gesprochene untermalen.
Schauspieler – «Faustspieler»
Es ist ein Spiel mit den klassischen Zitaten des ersten Faust-Teils und szenischen Ausflügen in den zweiten Teil. Die Sprache schwankt zwischen philosophisch-pathetisch, pragmatisch und ironisch. Pointierte Aussagen führen bei den Zuschauern zu Gelächter. Die eigentliche Handlung des Stücks gerät zeitweise in den Hintergrund und wird nur durch virtuose Wortwechsel zwischen Faust und Mephisto dargestellt. Dabei vollführen beide diverse Rollentausche, reissen sich gegenseitig aus ihrer Verzweiflung und gleichzeitig aus dem originalen Ablauf des Stücks. Es ist dem Zuschauer nicht möglich, passiv zuzusehen. Immer wieder wird er aktiv in das Geschehen hineingezogen und muss sich bemühen, den schnellen, teils chaotisch anmutenden Wort- und Themenwechseln zu folgen.
«Am Anfang war das Theater»
Wie bereits Goethes Mephisto, so hält auch der ‹Bühnen-Mephisto› seinen Faust zynisch zum Narren. Für einmal ist sogar Faust der ‹teuflische Pudel› und somit Mephistos Diener. Dieser schlüpft in die Rolle Gottes, während er auf des Pudels Rücken die Glühbirne entzündet und Licht bringt. Am Anfang war nicht das Wort, sondern die Tat, die in selbstreferenziellem Wortspiel zu «am Anfang war das Theater» wird.
Ein Video-Einspieler zeigt die Live-Übertragung aus dem dritten Stück des Faust: Elfriede Jelineks Sekundärdrama, das zeitgleich im Keller gespielt wird. Eine junge Frau erzählt in typisch jelinekscher Sprache hart und direkt von der Vergewaltigung durch ihren Vater. Bisherige Leichtigkeit und Humor werden abrupt abgebrochen.
Die Verzweiflung Fausts steigt im selben Masse an, in welchem sich das Tempo von Sprache und Gestik erhöht. Der Zuschauer wird direkt angesprochen, hineingezogen in den Rausch; er verfolgt gebannt das immer verworrenere Geschehen, das von Zechgelagen zu Suizidversuchen über Osterspaziergänge bis hin zu wildem Sich-Entblössen drängt. Wiederholte Live-Übertragungen aus dem Keller unterstreichen durch rasante Wortspiele das Tempo, das bereits auf der Bühne angegeben wird.
Die Euphorie erreicht ihren Höhepunkt und mit einem Beil brechen sich die beiden Akteure einen Weg durch den Bühnenboden zu der Aufführung im Keller. Teil eins und zwei werden mit dem «Sekundärdrama» zusammengeführt. Zuschauer und Schauspieler vereinen sich auf der Bühne und die Distanz wird erneut aufgehoben.
Provokation inklusive
Wie aus der Hölle steigen die Frauen aus dem Keller empor und treten, ähnlich dem Pudel, ‹kläffend› in das Stück hinein. Die gewohnt jelineksche Art mit ihrer brutal-vulgären Sprache erlaubt es nicht, um den heissen Brei zu reden. Das Auftauchen der «FaustIn», «GeistIn» und «GretIn» lässt die Triebe der beiden Männer hervorbrechen. Während Faust nach wie vor in seinem Pathos gefangen ist, bringen die drei Frauen sein und Mephistos schändliches Begehren durch exemplarische Schilderung auf eine schmucklose Ebene. In irritierender Weise fliessen Opfer- und Täter-Perspektive ineinander.
Auch Jelinek spielt mit den klassischen Faust-Zitaten. Sie zerreisst sie, zerstückelt sie und legt den Fokus auf die Lautlichkeit der Sprache, von welcher ausgehend sie Assoziationen und Wortspiele anstellt. Triebe und Liebe vermischen sich, doch die Triebe gewinnen die Oberhand und führen zu Gretchens Zerstörung.
Wie die Schauspieler sucht auch der Zuschauer automatisch immer wieder nach dem Sinn, nach einer Erklärung, nach der Erklärung, «was die Welt im Inneren zusammenhält». Der frische Blickwinkel ist durchaus geglückt, wenn auch die schwer verdauliche derbe Sprache und Ansicht Elfriede Jelineks nicht jedermanns Sache sein dürften. Den Dialogen zwischen den Schauspielern, den ‹Fausts›, den Akteuren und dem Publikum kann man sich nicht entziehen. Doch die Antwort auf die Frage nach dem Sinn ist jedem selbst überlassen.