Deodorant-Geruch in der Nase

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Fatou Cissé: Regarde-moi encore
Wo: Fabriktheater
Wann: 24.08.2012 bis 26.08.2012
Bereiche: Tanz, Theater Spektakel 2012

Theater Spektakel

Kulturkritik ist Partner des Theaterspektakels 2012. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.

Der Autor

Gabriel Flückiger: Gabriel Flückiger (geb. 1988) studierte Kunstgeschichte und Ethnologie.

Die Kritik

Lektorat: Dominik Wolfinger.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Theater Spektakel (siehe Unabhängigkeit).

Von Gabriel Flückiger, 26.8.2012

In Dakar geboren, begann die Senegalesin Fatou Cissé 1989 an der dortigen Manhatten Dance School die Ausbildung zur Bühnentänzerin. Zwar war ihr Vater Ousmane Noël Clissé zu jener Zeit Oberhaupt der Schule und wurde später Leiter des nationalen Balletts, doch Fatou Cissé machte alles andere als konforme Stücke. Im Speziellen die gesellschaftliche Rolle der Frau in Senegal ist ihr ein wichtiges Anliegen. Im aktuellen Solo am Theater Spektakel «Regarde-moi encore», unlängst am Institut Français du Cameroun in Yaoundé aufgeführt, thematisiert Cissé bei reduzierter Bühnenausstattung den weiblichen Körper als Manifestation des Psychischen, Begutachtungsobjekt und Ort des Klischees.

Dem Körper zuschauen

Fatou Cissé bewegt sich flink und flüssig, doch abrupt. Geschmeidigkeit und Hektik, beides liegt in ihren Bewegungen. Gekonnt spielt sie mit Versatzstücken einer leichtfüssigen Choreografie voller Übergänge vom Eiligen ins Übereilige und voll impulsivem, aber unaufgeregtem Kreisen und Schlängeln der Arme. Vereinzelt brechen einzelne Sequenzen aus dieser Einheit aus. Die Eleganz schlägt über in repetitiv-manische Muster. Immer brüsker streckt sie ihre eine Hand aus, um sie mit der Anderen gleich wieder nieder zu schlagen. Bis sie sich nur noch selber schlägt. In solchen Momenten entwickelt das Solo seine psychologische Wirkmächtigkeit. Wenn sie wild vor und zurück rennt oder den einen Stuhl schier endlos umrundet, wird das Tänzerische zur Zeichensprache der Psyche.

Konfrontation sucht Cissé von Anfang an. Geschlagene acht Minuten sitzt sie zu Beginn des Stücks bewegungslos auf dem Stuhl. Ihr Körper wird zur leblosen Puppe, doch ihr Blick fixiert das Publikum innig und scharf. Ein, zwei Mal richtet sie ihren Körper neu aus, doch ihre Augen bleiben als Drohung auf den verlegenen, unruhigen Zuschauern haften. «Regarde-moi encore»: Du schaust mich immer noch an, schau mich noch einmal an. Unausweichlich wird dem anonymen Blick der Zuschauer an diesem Abend die Unschuld genommen. Unbehelligt zuschauen wird wohl keiner mehr.

Vielleicht sind Cissés Bewegungen auch gar nicht für uns gedacht, vielleicht ist es sogar eine Zumutung, von Tänzer und Performern zu verlangen, dass sie uns bedeutungsvolle, verständliche und konsumierbare Bewegungen und Abläufe liefern sollen. Vielleicht liegt hinter dieser Haltung gar eine verdeckte Machtstruktur: Tanz du da vorne, Tanz. Und schau dabei auch gut aus! Für den zweiten Teil des Abends kleidet sich Cissé dann auch um und tauscht das Karo-Hemd gegen das vielfarbige Abendkleid mit Perücke. Es geht jetzt nur noch ums Schminken. Lippenstift, Puder, Lash, da ist alles dabei. Von Kopf bis Fuss sprayt sie sich mit Deodorant ein, beständig sucht sie die Selbstvergewisserung im Spiegel. Die Szene nimmt groteske Züge an und ihr Körper bewegt sich einzig im Takt der Eitelkeit. Bis sie am Schluss (wieder) zum Püppchen wird.

Die Stellung der Frauen in Senegal

Zwar ist die politische Präsenz der Frauen im Durchschnitt höher als in die umliegenden Ländern, von wirklicher Gleichberechtigung kann aber nicht gesprochen werden. Hinsichtlich der Arbeit in den Ministerien, der Erwerbsquote sowie der der Schulausbildung sind die Frauenanteile immer weit niedriger als jene der Männer. Auch rechtlich, bspw. bei Erbvorgängen, ist die Frau heute noch schlechter gestellt als der Mann. Klar, die Aufführung von Fatou Cissé wird an der Situation in Senegal nichts ändern. Die Situation in Senegal als Bedingungen künstlerischen Schaffens führt aber zu einem  Stück, das nicht nur im lokalen Kontext Brüchigkeiten der Identität, der theatralen Rollenverteilungen und stigmatisierender Bilder des Weiblichen vorführt. Und der penetrante Geruch des Deodorants  bleibt beim Verlassen des Saals in der Nase hängen.

 

 

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