Geballte Zerbrechlichkeit

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Eisa Jocson: Death of the Pole Dancer
Wo: Rote Fabrik, Shedhalle
Wann: 24.08.2012 bis 26.08.2012
Bereiche: Tanz, Theater Spektakel 2012

Theater Spektakel

Kulturkritik ist Partner des Theaterspektakels 2012. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.

Die Autorin

Patricia Schmidt: Jahrgang 1985, studierte Publizistik, Politik und Literaturwissenschaft in Zürich, arbeitet im Consulting.

Die Kritik

Lektorat: Stefan Schöbi.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Theater Spektakel (siehe Unabhängigkeit).

Von Patricia Schmidt, 29.8.2012

Die Tür schwingt auf. Von Kopf bis Fuss in Lack und Leder gekleidet betritt Eisa Jocson die Shedhalle der Roten Fabrik und überflutet diese unverzüglich mit Reizen. Festen Schrittes marschiert sie in die Mitte des Raumes, dort umzingelt von Blickenden, die sie selbst keines Blickes würdigt. Das Klacken ihrer Plateauschuhe auf dem Boden prallt von den Wänden ab und erlaubt neben sich kein weiteres Geräusch. Stolz und schön dominiert Eisa Jocson ganz und gar.

Innerhalb wenigster Augen- oder vielmehr Gaffblicke erfüllt die philippinische Schönheit sämtliche Stereotypen rund um den Poledance, den Stangentanz, und dem Rotlichtmilieu von hier bis nach Manila. Mit ihren nie enden wollenden Beinen, ihrer leicht getönten Haut, schmaler Taille und langem Haar lässt Eisa Jocson Frauen vor Neid erblassen und Männer vor Wollust erröten.

Macht und Weiblichkeit

Diese geballte Weiblichkeit wird in «Death of the Pole Dancer» in Szene gesetzt. Akribisch ordnet Eisa Jocson hierzu drei Stangenelemente auf dem Boden an, steckt sie zusammen, schraubt sie auf einer Halterung fest. Dabei gewährt sie sich viel Zeit und dem Zuschauerkreis gleichzeitig freien Blick auf ihr Hinterteil. Ihre Hand- und Körperbewegungen: eindeutig unzweideutig.

Dann ist es endlich soweit. Ihr Zepter ist aufgerichtet: Frisch poliert glänzt die Stange und blendet die Zuschauer im Licht. Ein letztes Mal streicht Eisa Jocson liebevoll mit der Hand darüber, um sich unmittelbar anschliessend mit harten, ruckartigen Bewegungen immer wieder dagegen zu werfen – immer schneller und schneller. Die Stange wehrt sich mit ohrenbetäubendem Quietschen. Jocsons Atmen wird immer hörbarer. Sie stöhnt. Sie schreit.

Sexualität und Zerbrechlichkeit

Für einen Sekundenbruchteil hält Eisa Jocson inne, um das Spiel aber sogleich wieder aufzunehmen, welches über den ganzen Abend nie an Intensität verliert. So bleiben kleinste Veränderungen kaum sichtbar, werden hingegen aber umso spürbarer – Jocsons Blick etwa, gerade noch leicht überheblich, jetzt verängstigt und erschrocken. Der Spielantrieb schwankt zwischen der Demonstration von Macht und fühlbarer Verzweiflung.

Genauso subtil wirkt Eisa Jocsons visuelle Kunst. Gekonnt und sorgfältig malt sie mit feinstem Pinselstrich und weiss, die so entstehenden Bilder haben es schwer, gegen festgesetzte Vorurteile und Geschlechterrollen anzukommen. Nur wer ganz genau hinsieht, bemerkt etwa, dass Jocsons Schuhe einige Nummern zu gross und mit Klebeband um ihre Knöchel befestigt sind, fast so, als hätte sie sich mit dem Spiel der Dominanz zu Grosses aufgebürdet. Oder wie sie zu Beginn des Abends einen Moment zu lange die Stabilität der Stange prüft und diese erst für bestätigt hält, als ein eigens hierfür aus dem Publikum geholter Mann sie nachgeprüft hat. Angst und Ergebenheit, Überlegenheit und Erhabenheit – ein feines Spiel mit Stereotypen, welche Jocsons Performance zu sprengen versucht.

Wie ein verbrauchtes Taschentuch

Dann wechselt das Zepter den Besitzer. Vorbei ist’s mit dem überlegenen Spiel. Jocson klammert sich an ihre Stange und gleichzeitig an deren einstige Bedeutung – und findet doch keinen Halt, gleitet tiefer und tiefer an ihr herab. Auf dem Boden angekommen steht sie nicht wieder auf. Nichts an ihr ist jetzt noch anmutig.

Die Zuschauer, auf dem Boden kauernd, erheben sich langsam. Einer nach dem anderen verlässt den Raum. Jocson wird liegengelassen wie ein verbrauchtes und nicht mehr gebrauchtes Taschentuch nach dem Sexualakt.

Missglückte Gratwanderung

Eisa Jocsons Auftritt hinterlässt zweifellos einen bitteren Nachgeschmack beim Verlassen des Raumes. Allzu schade nur, dass diese Bitterkeit vor allem daher führt, dass im Kern nicht eingelöst wird, was von der Poledance-Performance zu erwarten war – zumal wenn man der Programmzeitung des Theater Spektakels folgte. «Geschlechterrollen», «die Politik der Körper» und «die Macht der Beziehungen» nachhaltig zu hinterfragen, das ist durch subtile Andeutungen und Nuancierungen kaum zu leisten. Jocsons zwischen Pole Dance und Artistik angesiedelte Miniatur deutet die feinen Unterschiede zwischen Sexualität und Verwundbarkeit, Voyeurismus und Gewalt bestenfalls an. Zu leise sprechen aber schliesslich die Argumente, Signale und Hinweise. Zu laut im Verhältnis Jocsons optische Reize, die Anziehungskraft ihrer Sexualität und die Verruchtheit ihrer Bewegungen.

So wird das Solo-Short-Piece zur Gratwanderung, auf der man – mit Jocsons 18-Zentimeter-Absätzen – nur allzu schnell ins Leere tritt.

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