Ha, Ha, Ha

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Die Fledermaus
Wo: Rote Fabrik, Fabriktheater
Wann: 19.04.2012
Bereich: Theater

Die Autorin

Valérie Wacker: Jahrgang 1983. Pflegt Mikro-Teile des World Wide Web und ihren Kontakt zur realen Welt. Studiert an der ZHdK im Master Art Education, Vertiefung publizieren & vermitteln und davor an der ZHaW Journalismus und Kommunikation.

Die Kritik

Lektorat: Stefan Schöbi.
Dieser Beitrag ist im Rahmen eines Mentorats zur spezialisierten Publikationspraxis im Master-Studiengang publizieren & vermitteln entstanden.

Von Valérie Wacker, 20.4.2012

Es ist ein motorisches, lautes, unechtes Lachen, in das alle einstimmen zu Beginn der «Fledermaus», dieser «Operette für vier Schauspieler und zwei DJs». Als ein ähnliches Lachen später am Abend in einer Bar wieder ertönt, ist das unangenehm. Die Welt kurz vor dem Spass-Burnout macht nämlich keinen Spass. Aber hinterlässt Eindruck.

«Yppie, Yppie, Yeah!», mit Songpassagen von Deichkind, der Hamburger Hip-Hop-Formation, fordern die DJs erste Party-Moves ein. Aber die Spass-Welt-Bewohner sind erschöpft. In ihrer Welt ist Spass gesetzlich verordnet. Das ermüdet. Sie sacken in sich zusammen, schalten sich auf off, zitieren sich manchmal gegenseitig ins Bühnen-Off. Ärztlich verordnete Party-Pause wäre eine willkommene Ausrede, aber es gibt kein Entrinnen. In dieser Welt darf man alles, nur Gähnen nicht. Doch: Gabriel von Eisenstein (Markus Mathis) hat gegähnt. Bevor er aber seine Gefängnisstrafe absitzt, will er noch zu Prinz Orlofskys Party.

Eine Operette aus dem Jahre 1874 frei nach Johan Strauss ins Jahr 2012 zu katapultieren, passt ins Profil von «theater konstellationen». Die deutsch-schweizerische Formation hat sich seit über 12 Jahren auf die Kombination von Sprechtheater und Musik spezialisiert, wird auf der Webseite erklärt. «Die Fledermaus» ist eine Co-Produktion mit dem Theater Chur (Uraufführung), den Sophiensaelen Berlin, dem Fabriktheater Rote Fabrik (Zürcher Premiere) und dem Schlachthaus Theater Bern, wo das Stück im Dezember aufgeführt wird (nachdem es im November auch in der Grabenhalle St. Gallen gastiert).

Abgelöschte Party-People

Wie im Original wollen alle Figuren unbedingt ans Fest des Prinzen Orlofsky. Es verspricht eine Ausflucht aus dem langweiligen Alltag. Aber nur die Aussicht auf ein unendliches Drogenbuffet und alle möglichen perversen Sexualpraktiken vermögen beim Party-Volk noch Hoffnung auf echte Zerstreuung zu wecken. «Sogar rauchen darf man», obwohl das in dieser Welt fast ein bisschen zu «light» ist.

Derb ist sie, diese Welt, in neu-aristokratischem Französisch: «magni-FICK». Das Originalstück blitzt immer wieder auf, wird eingewoben. Die DJs servieren Strauss-Partituren, manchmal nur Versatzstücke davon. Die Komposition überzeugt. Es wird mitgesungen und Playback performt. Das ist lustig, aber die latente Lethargie der Partygeplagten hat sich bereits auf die Besucher übertragen. Immer, wenn Emotionen aufzukommen drohen, wird das Vergessen besungen.

Und diese Party-People lassen sich sehr schnell vom Vergessen überzeugen. Zum Beispiel Rosalinde (Anja Tobler), die mit ihrem überlangen violetten Haar, den grünen Hosen und den exakten Bewegungen etwas Comic-artiges hat. Ihr Mann Eisenstein scheint sie über lange Strecken kalt zu lassen. Auch dessen Verhältnis zum Hausangestellten Adele (Lou Elias Bihler). Ein Transvestit, der in seinem engmaschigen Netz-T-Shirt und den roten Lippen auf anrührende Weise immer ein bisschen neben seinen weissen Absatz-Schuhen steht.

Zurück zu Rosalinde, die kein Unschuldslamm ist: Die emanzipierte Frau hat wohl keinen Liebhaber, bestellt dafür beim Escort-Service. Das ist praktisch, aber wenig leidenschaftlich. Für Leidenschaft ist in dieser Welt ohnehin kaum Platz. Bedauerlich für den nach Rache dürstenden Falken (Eleni Haupt), der als Freund des Hauses ein- und ausgeht. Denn ohne Leidenschaft wird auch seine Rache nicht besonders süss ausfallen. In dieser oberflächlichen Welt ist es schwierig für die Figuren, Fallhöhe zu entwickeln.

Getriebener Spass

Die Diskokugeln auf den drei Screens über der Bühne drehen und drehen. Sie bieten Text zum Mitgrölen und projizieren das, was im Party-Getöse unterzugehen droht. Jeder Schauspieler verkörpert zwei Figuren, da geht immer was. In kompakten 70 Minuten führt Regisseur Jonas Knecht seine Figuren zum Party-Kollaps. Innert kürzester Zeit werden die vertrackten Fäden der Geschichte entwirrt. Ein (echtes?) Lachen ist zu hören und schliesslich heisst es: «Alles Walzer, auch die Toten!» Vorhang.

Später in der Bar. Im Kopf drehen sie weiter, die überzüchteten Party-People. Jemand lacht ein Party-People-Lachen. Man gähnt genüsslich, ausgiebig und demonstrativ.

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