Klischee und Vorurteil im Pas de deux

Die Veranstaltung
Was: Constanza Macras, DorkyPark: Open for Everything
Wo: Theater Spektakel, Werft
Wann: 16.08.2012 bis 19.08.2012
Bereiche: Tanz, Theater, Theater Spektakel 2012
Theater Spektakel
Kulturkritik ist Partner des Theaterspektakels 2012. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.
Die Autorin
Valérie Wacker: Jahrgang 1983. Pflegt Mikro-Teile des World Wide Web und ihren Kontakt zur realen Welt. Studiert an der ZHdK im Master Art Education, Vertiefung publizieren & vermitteln und davor an der ZHaW Journalismus und Kommunikation.
Die Kritik
Lektorat: Gabriel Flückiger.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Theater Spektakel (siehe Unabhängigkeit).
Von Valérie Wacker, 17.8.2012
Die Roma stinken, waschen ihre Kleider nie und wollen sowieso nicht zur Schule gehen. Das Stück «Open for Everything» markiert gleich zu Beginn, dass es keine Berührungsängste kennt. Zum Auftakt des Theater Spektakels finden sich die Zuschauer in der Werft irgendwo zwischen plakativer Hatz, romantischen Klischees und lebensfremden Casting-Show-Träumen wieder. Es ist für alle Beteiligten nicht einfach, hier Halt zu finden – das zeichnet das Stück aus.
Das Publikum atmet hörbar auf, als der wilde Haufen endlich aufhört zu tanzen. Es wollte kein Ende finden: die Tänzer zogen Kleider an, nur um sie sich gegenseitig wieder vom Leib zu reissen. Das Gesehene lag irgendwo zwischen Harmonie und Übergriff, eine exzessive Szene. Das anfänglich lüpfige Geigenspiel wurde zum nervigen Gefiedel. Der Anfangs witzige Nonsens-Refrain «Armani, Versace, Gucci» artete zum nervtötenden Mantra aus. Zwei Romni wechseln nahtlos zum flotten Flamenco. Lauter Szenenapplaus von einigen wenigen, allen anderen steckt die bedrückende Szene von vorher noch in den Knochen.
Starke Zwischentöne
Auf einmal wird aus der Zigeuner-Romantik ein sich bestätigendes Vorurteil. Regisseurin Constanza Macras verdeutlicht das Bild mit weiteren Klischees und lässt eine Ultra-Rechte auf eine Ethno-Romantikerin treffen. Zum Schluss des hässlichen Dialoges sind beide Karikaturen gleich schlimm.
Ihr Widerstreit aber, setzt sich – ganz fein – im Zuschauer fort. Macras lässt nicht zu, dass es sich das Publikum zu bequem macht. Es sieht sich zusehends vor, sich mitreissen zu lassen, denn die Stimmung kann sehr schnell umschlagen. Das macht wach und aufmerksam und ist die grosse Stärke von «Open for Everything».
Titelgebend für das Stück wurde der Satz, den Macras so oft hörte bei den Castings in der Slowakei, Tschechien und Ungarn. Auf Recherchereise begab sich die 42-Jährige auf Anregung des Goethe-Instituts. Auch mit Laien hat die argentinische Wahl-Berlinerin schon einmal gearbeitet, als sie für «Scratch Neukölln» Kinder und Jugendliche aus dem Problem-Viertel auf die Bühne holte.
Ein Volk ohne Land
Nun stehen die 17 Roma mit 5 Mitgliedern aus Macras’ Ensemble DorkyPark auf der Bühne. Wenn die durchmischte Truppe in Gipsy-Chic, Trainerhosen und Stöckelschuhen so vor der Wellblech-Garage steht, könnten sie überall sein.
Insgesamt leben ungefähr 12 Millionen Roma in Europa. Davon 50 000 in der Schweiz, so schätzt die Rroma-Stiftung Zürich. Auf ganz Europa verteilt haben sich die Roma nicht freiwillig. Sie waren nirgends willkommen und deshalb zum Reisen gezwungen, erklärt eine Broschüre der Stiftung. Ursprünglich stammen die Roma aus Indien. Warum sie es zu Beginn des 15. Jahrhunderts verlassen haben, ist bis heute ungeklärt.
«Open for Everything» ist eine Identitätssuche. Das Stück stimmt nachdenklich, desillusioniert auch. Und doch bleibt es ein Tanz, irgendwo zwischen Hochglanz-Pop und Tradition, die auch Klischee sein könnte.