Balkanmusik: Virtuoses Spiel mit der Imagination des Publikums

Die Veranstaltung
Was: Balkanmusik
Wo: Rote Fabrik, Fabriktheater
Wann: 14.03.2012
Bereich: Theater
Die Autorin
Sophie Caflisch: Jahrgang 1983, Studium Phil. I, Assistentin an der Universität Zürich, davor Praktikantin am Fabriktheater Rote Fabrik und am Stadttheater Solothurn. Journalistisch tätig im Rahmen des Nachwuchs-Opernprojektes «OpernHausen».
Die Kritik
Lektorat: Anaïs Meier.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Rote Fabrik, Fabriktheater (siehe Unabhängigkeit).
Von Sophie Caflisch, 17.3.2012
«Wenn man aufwacht, ist immer alles ein bisschen anders.» Und wenn man Pech hat, watet man in einem Rebellendorf auf dem Balkan durch den Schlamm und soll eine antikapitalistische Hymne komponieren. Oder hat man in einem solchen Fall erst recht Glück gehabt? Darüber sind sich der Sänger und Bassist Moritz (Dominique Jann), der Gitarrist Nick (Dominique Müller) und der Schlagzeuger Robert (Tomas Flachs Nóbrega) sehr schnell nicht mehr einig. Moritz tanzt enthusiastisch, hackt Holz, rührt in der Rebellensuppe und bändelt obendrein mit der schönen Räubertochter Mirjana (Dorothée Müggler) an, während sich seine Bandkumpels fürchten und nach Deutschland sehnen – brisanterweise nach ein- und derselben Frau. Der Rebellenführer Istvan (Michael Rath), gezeugt von Tito in einem Salonwagen des blauen Zugs, spricht akzentfrei Hochdeutsch, hat in der Schweiz studiert und kämpft jetzt für die FKKB (Freie Kommunistische Konföderation Balkan). Dafür sind ihm alle Mittel recht. Seine Tochter Mirjana spricht wie zu Goethes Zeiten und will nur das Eine: Weimar sehen und nicht sterben.
Behauptung live
Was nach einem opulenten Folklore-Setting klingt, wird in der Inszenierung von Manuel Bürgin mit denkbar einfachen Mitteln auf die Bühne gebracht. Ein Schlagzeug, eine Wäscheleine, zwei Mikrophone, zwei Kinosessel und drei Lichtkegel verbreiten fröhliche Indie Club-Atmosphäre. Multifunktional sind eine Art Autoreifen-Flosse mit Perserteppichauflage, die wahlweise als Autos oder Rettungsinseln fungieren (Bühnenbild: Sibylla Walpen). Alles andere ist in Daniel Mezgers Komödie zunächst Behauptung. Nicht nur der Regen, der Matsch, und der Wald, sondern auch die Aufnahmeprobe mit dem Dorforchester und Mirjanas Kopftuch. Selbst der Autobahnbeat wird trotz anwesendem Schlagzeug mit Schlagzeuger frech nur behauptet statt gespielt. Unversehens wähnt sich die Zuschauerin auf einer Reise in eine bessere Welt, wo man über Ausbeutung keine Witze macht, gegen den Kapitalismus ansingt und dabei dank antikapitalistischem Merchandising auch noch Millionen verdient.
Komik auf Messers Schneide
Diese Art des Widerspruchs ist jeder Vegetarierin mit Lederstiefeln und jedem Greenpeace Mitglied mit VW-Bus wohlbekannt, verkommt in der Reinform aber leider zur Plattitüde und stempelt den Gitarristen zu einem Dummkopf. Meisterhaft versteht es Mezger indessen, komische Sprachspielereien zu kreieren. Der erste Ostblock-Wohnblock am Strassenrand sorgte beim Publikum für ebenso viel Erheiterung wie das Ostobst und das Gemeindezentrum Gütersloh als Inbegriff der erfolglosen Band. Für Lacher sorgt auch Mirjana, wenn sie den Gästen ihr Quartier zeigen will oder nach einem Kuss fragt, ob er denn nach den Bedürfnissen des Geküssten gewesen sei.
Ein (zu) kleines Problem mit der Völkerverständigung
Die Dichte der Lachsalven täuscht irgendwie darüber hinweg, dass es langsam aber sicher doch ernst wird. Obwohl die Musik immer echter wird – die drei Schauspieler sind Multitalente. Obwohl der Lausprecher plötzlich echte Vögel pfeifen lässt. Obwohl Mirjana vom Krieg spricht und Istvan davon, dass es doch eigentlich nur einen Tontechniker brauche und der Rest der Band überflüssig sei.
Der grosse Showdown kommt, ein Schuss fällt und einer bleibt liegen. Man würde sich nicht wundern, wenn er in der nächsten halben Minute wieder aufstünde und behauptete, dass er sich das Abenteuer im Keller-Bandraum in Paderborn nur ausgedacht habe. Er bleibt liegen. Es war also ernst. Und spätestens jetzt zweifle ich, ob ich über einen Wiederaufguss des Kalten Krieges gemischt mit Wohlstandslangeweile so viel lachen will. Vielleicht schon. Aber ein klitzekleines ungutes Gefühl in der Magengrube bleibt.