Helden in Unterhosen

Die Veranstaltung
Was: Atelier Lefeuvre & André: 8 m3
Wo: Theater Spektakel, Haus am See
Wann: 17.08.2012 bis 26.08.2012
Bereiche: Theater, Theater Spektakel 2012
Theater Spektakel
Kulturkritik ist Partner des Theaterspektakels 2012. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.
Die Autorin
Fabienne Schmuki: Jahrgang 1983. Absolventin des Masterstudiengangs Kulturvermittlung, «publizieren & vermitteln» an der ZHdK. Co-Geschäftsführung eines Schweizer Independent Musikvertriebs; Promotion & Kommunikation. Freelancerin für diverse Print-/Onlinemedien.
Die Kritik
Lektorat: Valérie Wacker.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Theater Spektakel (siehe Unabhängigkeit).
Von Fabienne Schmuki, 18.8.2012
Mit Atelier Lefeuvre & André aus Paris sind 90 Minuten erstaunlich kurz. Dabei brauchen die beiden weder special effects noch green screens – und doch gelingt ihnen grosses Kino. Didier André, der «eher Viereckige», und Jean-Paul Lefeuvre, «der Lange», buhlen nicht mit ausgeklügelten Handlungssträngen und spannungsgeladenen Verfolgungsjagden um die Gunst des Publikums. Die beiden Urgesteine des Nouveau Cirque brauchen nicht mehr als Witz, Charme, Kraft, acht Kubikmeter – und eine Flasche Rotwein.
Trauerkloss mit magischen Kräften
«Du Bon» steht auf der Etikette des vielleicht edlen Tropfens. Nicht etwa ein Korkzapfen verschliesst die Flasche, sondern ein roter Ball. Bald wird der Jongleur, dem die Frau davongelaufen ist, diesen Ball verschwinden lassen und wieder hervorzaubern. Er, der «eher Viereckige», wird in einen Fernseher schlüpfen und dabei die Farbe seiner Unterhosen wechseln. Er wird Äpfel hüpfen und Gläser tanzen lassen. Doch so sehr dies seine Zuschauer zu belustigen vermag – dem Gepeinigten liegt der Liebeskummer schwer auf der Brust und das sieht man seinen traurigen Augen an. Pausenlos.
Nach 45 Minuten kommt die Pause und die Bühne wird zur Bar. Schnell wird aus dem Trauerkloss ein glaubwürdiger Bartender, aus dem 2 x 2 x 2 Meter kleinen Wohnzimmer ein Gasthaus und aus der Flasche fliesst Sirup, den gibt’s gratis für die schwitzenden Zuschauer. Draussen lacht die Sonne mit dem Publikum um die Wette. Das Publikum macht das Rennen.
Der Lange turnt an der Stange
Warum es dem Langen nicht gut geht, versteht sich augenblicklich: Er ist einfach zu gross für die kleine Bühne. Er stösst sich den Kopf an der Decke, was sein Gesicht noch länger macht. Offensichtlich gelangweilt vertreibt er sich die Zeit in Unterhosen mit beeindruckenden Kraftübungen und Verrenkungen in dem kleinen Raum, der im zweiten Teil der Vorführung nicht mehr länger Wohnzimmer ist, sondern ein Bus. Das Publikum fährt mit dem Künstler durch die Welt, während der Lange auf dem Seil balanciert und an der Stange turnt. Raymond Queneau singt durch die Lautsprecher «il sera toujours aussi moche, ce sale con» und setzt der tragikomischen Szene musikalisch die Krone auf.
Die beiden Artisten umarmen den Nouveau Cirque in seiner Ganzheit: Die moderne Zirkusbewegung, die Ende der 60er Jahre auf verschiedenen Kontinenten erblühte, lebt von Charakteren und Musik. In eine Geschichte verpackt, findet die Performance schliesslich in passender Ästhetik und Design ihre Vollendung.
Sympathischer Dilettantismus
Es ist zweifellos grosse Kunst, ein Publikum mit solch beschränkter Ausstattung so lange bei der Stange zu halten. Den beiden Artisten gelingt dies scheinbar mühelos. Zugegeben, die Zaubertricks mögen uralt sein, doch sie funktionieren noch immer: Der scheinbar halbierte Daumen oder das schwebende Seil vermögen Klein und Gross noch immer bestens zu unterhalten.
Der scheinbare Dilettantismus, der manchmal in den Performances von Didier André und Jean-Paul Lefeuvre durchdringt, ist grösstenteils gewollt. Zweimal allerdings hält das Publikum kurz inne und bangt um die Zuschauer in der ersten Reihe. Die sind dermassen nahe am Geschehen, dass es zweimal hätte ins Auge gehen könnte. Geht es aber nicht, und bereits beim nächsten Witz ist alles vergeben und vergessen. So wenig Aufregung bei so viel Theater, und alles ganz nah, auf engstem Raum. Und im Zentrum zwei Helden in Unterhosen.