«Neue», «alte», «moderne» oder «zeitgenössische» Musik?

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Arc-en-Ciel: Das Ensebmle - ein ... Instrument?!
Wo: Grosser Saal, Florhofgasse 6, Zürich
Wann: 20.04.2012
Bereich: Musik

Der Autor

Moritz Weber: Jahrgang 1976, studierte Klavier an den Musikhochschulen in Zürich und München sowie Kulturpublizistik an der ZHdK. Er lebt als freischaffender Konzertpianist, Kulturjournalist und Klavierpädagoge in Zürich.

Die Kritik

Lektorat: Sophie Caflisch.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).

Von Moritz Weber, 23.4.2012

Ein klassisches Konzert von 90 Minuten Dauer, ohne Pause und mit ausschliesslich «moderner» oder «neuer» Musik – für einen Grossteil der Menschheit ist das eine absolute Horrorvorstellung. Dem zum Trotz bewies das Ensemble für Neue Musik der ZHdK, mit seinem versöhnlichen Namen «Arc-en-ciel», was für ein Genuss ein solcher Abend sein kann.

Beispielhafte Demonstration

Mit grossem Einsatz zeigten die Organisatoren, der renommierte Dirigent Zsolt Nagy und die Studierenden, dass man auch mit Stücken des 20. und 21. Jahrhunderts ein abwechslungsreiches und mitreissendes Konzertprogramm zusammenstellen kann. Mehr noch, es lassen sich damit auch Konzertbesucher in den Saal locken, die Veranstaltung war gut besucht!

Die Werkpalette reichte von Ives’ «Unsanswered Question» – komponiert um 1906 und somit über 100-jährig, man könnte das Werk mit gutem Gewissen schon als «alt» bezeichnen – über Stücke von Cage, Nancarrow, Kurtág und Eötvös bis hin zu Carters «Mosaik» von 2004, wahrlich «neuer» Musik.

Interessante Fragestellung

Den roten Faden des Programms bildete die Frage, inwiefern sich der Raum, in welchem Musik dargeboten wird, als eigenständiges Musikinstrument bezeichnen lässt. Aus diesem Grund wurde gut die Hälfte der Werke auf unkonventionelle Weise präsentiert: Ein Streichquartett spielte im Gang, einzelne Musikergruppen waren vor, neben oder hinter den Zuhörern aufgestellt und einige Musiker spielten sogar von Zuhörerplätzen aus.

Diese durchlässige  Konzertsituation ohne Gegenüberstellung im Raum wirkte sich durchaus unterstützend auf die Ausdruckskraft der einzelnen Werke aus. Es entstanden faszinierende Stereo-Effekte wie beispielsweise im Frage und Antwort Spiel der «Unanswered Question», oder aber urwaldähnliche Dolby Surround-Klangwelten in Kurtágs «… quasi una fantasia …», in welche der Zuhörer eintauchen konnte.

Motivierter Dirigent und motivierte Studenten

Nagy dirigierte das Ensemble mit klarer Hand. Präzise und mit Liebe zum Detail brachten er und die Studenten die Stücke überzeugend auf den Punkt. Einzig die für Kammerorchester adaptierten Studies von Nancarrow fielen im kurzweiligen Programm etwas ab. Die ursprünglich für selbstspielendes Klavier mit Notenrolle komponierten Stücke schöpfen ihre Dramatik vor allem aus dem Aberwitz ihres Klaviersatzes, welcher unmöglich von zwei menschlichen Händen realisiert werden könnte. Eben dieser Effekt war es, welcher andere Komponisten wie Ligeti zu ihren Kompositionen inspirierten. In der zwar raffiniert gesetzten Orchesterfassung klangen die Stücke jedoch nur gemütlich und harmlos, wie etwas trivial geratene Schunkelstücke für eine Big Band.

Electro-Sounds im Konzertsaal

Ein Höhepunkt des Abends war sicherlich die zündende Darbietung von Cages Schlagzeugquartett «Third Construction» von 1941. Hier konnte man am eigenen Leib erleben, dass «zeitgenössische Musik» – in diesem Fall schon 70 Jahre alt — überhaupt nicht intellektualisiert, verkopft und schwer zugänglich sein muss.

Die heissen Beats brachten die Sinne in Wallung und erinnerten eher an einen Party-Abend in einem Zürcher In-Club, denn an ein klassisches Konzert. Mit diesem oder ähnlichen Stücken sowie entsprechender Werbung würde wahrscheinlich auch der eine oder andere eingefleischte Electro-Szeni den Weg in einen altehrwürdigen Konzertraum finden.

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