Zürich Wipkingen auf 18m2

Die Veranstaltung
Was: Ansichtssache Wipkingen
Wo: KunstRaum R57, Röschibachstrasse 57, 8037 Zürich
Wann: 19.05.2012 bis 09.06.2012
Bereich: Bildende Kunst
Die Autorin
Elena Ibello: 1982 geboren, seit 2003 freie Journalistin. Im Master-Studium Art Education, publizieren&vermitteln, an der ZHdK.
Die Kritik
Lektorat: Dominik Wolfinger.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: KunstRaum R57 (siehe Unabhängigkeit).
Von Elena Ibello, 21.5.2012
Das Bild, das die Ausstellung eröffnet, ist wie ein willkommener Bote freudiger Kunde. Die Sonne scheint warm, die Gäste sind leicht bekleidet, trinken Wasser, Weisswein, Bier. Alles eisgekühlt. Oder sie schlecken gar Eis und tummeln sich auf den 18 Quadratmetern des Ausstellungsraums in Wipkingen. Das Bild: «Lettenbadi» von Alex Zwalen in der Ausstellung «Ansichtssache Wipkingen» im KunstRaum R57. Es zeigt einen Holzsteg auf der Limmat, angeschnitten, Blick auf eine Brücke etwas weiter die Limmat hinab, auf dem Steg sitzt ein Badegast und im Vordergrund sind zwei Füsse eines anderen sich Sonnenden zu sehen. Das Wasser führt ein Sattes Grün-Blau und der Holzsteg ist hell, fast gelb. Das Bild könnte kaum besser passen zur Stimmung an diesem Samstag im R57. Auch die übrigen Bilder, alles Impressionen aus Wipkingen, zeugen in verschiedensten, satten Farben von einem liebe- und lustvollen Blick auf das Zürcher Quartier. Auf diesen Bildern wirkt vieles fröhlicher und wärmer als in jenen Bildern, die man in der Erinnerung an die porträtierten Orte und Plätze im Kopf führt. Vielleicht liegt das daran, dass die aktuelle Erinnerung an jene Orte eine winterlich-graue ist und die Bilder aus «Ansichtssache Wipkingen» zumindest teilweise von sehr freundlichen Tagen zeugen. Viel Grün und deutliche Schatten sind zu sehen.
Doch alleine daran wird es nicht liegen. Auf Alex Zwalens Bilder werden auch Orte heiter und ansprechend, die in Natura auf den eiligen Städter zu keiner Jahreszeit eine solche Wirkung zeigen. Zum Beispiel die Rosengartenstrasse. Von einer Brücke aus überblickt man in der Dämmerung die vier Spuren, vorbei an der Hausecke eines orange-braunen Wohnblocks. Der Blick auf seine warme Fassade und die einladenden Balkone ist anheimelnd, von da aus lässt es sich angenehm und ruhig über die sonst so kühle, hektische Strasse blicken. Der grüne Hügel und der Kirchturm im Hintergrund weisen die Betonwüste in die Schranken und die Scheinwerferlichter der entgegenkommenden Autos wirken wie hübsche Lichterketten in Strassencafés, wie sie nun auch in Wipkingen aus ihrem Winterschlaf erwachen. Doch auch Bilder von Menschen, die sich treffen in der Quartierbeiz, sich austauschen, spielen, wirken familiär, deuten auf eine Vertrautheit des Künstlers mit seinem Objekt, das eigentlich kein Objekt, sondern viel eher ein kleiner Kosmos ist. Der Blick, der in «Ansichtssache Wipkingen» auf diesen Kosmos gezeigt wird, ist auf jeden Fall einer aus nächster Nähe.
Aussensicht von mittendrin
Im farbenprächtigen Ausstellungsraum führen die Gäste heiter den Tanz des Getümmels aus und lassen sich dabei von der intensiven Betrachtung nicht abhalten. Es gibt fast kein Vorbeikommen. Einige warten draussen in der Sonne, bis sich andere durch die Menge tänzelnd hinaus vor den Kunstraum begeben und ein klein wenig Luft entsteht im Gedränge. Stören tut sich daran niemand. Man kennt sich, grüsst auf alle Seiten, plaudert. «Kürzlich kam ich aus unserem Hauseingang hinaus auf die Strasse und da sass Alex. Er malte gerade dieses Bild hier!» Alex, der Künstler, ist, so scheint es, längst einer von ihnen. Auch er plaudert munter mit den Leuten aus dem Quartier und erzählt von seinen Erlebnissen, die sein halbes Jahr mit seinem «Plenair-Atelier» in Wipkingen geprägt haben. Nicht immer war Zwalen hier so vertraut. Bisher sei er einfach hin und wieder durch das Quartier hindurch gegangen oder kam her, um in einem Geschäft etwas zu kaufen. Aber wirklich mit dem Ort auseinander gesetzt habe er sich erst, als er mit «Ansichtssache Wipkingen» begann, sagt Zwalen. «Das war etwa so, wie wenn ich einen Menschen kennen würde und dann zum ersten Mal bei ihm zu Hause zum Essen eingeladen wäre. Da findet eine gewollte Annäherung statt.»
Eine separate Hommage an den Bahnhof
Und trotz dieser Nähe bergen die Bilder auch einen ganz neuen Blick auf das Quartier. Der Bahnhof Wipkingen beispielsweise ist mit unterschiedlichen Sujets und Perspektiven mehrmals in der Ausstellung vertreten. Jedes Bild zeigt eine bestimmte Facette. Und auf einmal wird einem bei der Betrachtung dieser Bilder bewusst: Kein Zürcher Bahnhof lässt sich mit jenem von Wipkingen vergleichen. Er ist luftig, farbig, inspirierend. Schon die Holztreppe von der Nordbrücke hinunter zum Bahnhof hat so gar nichts Bahnhofhaftes. Der kleine Raum bei den aufgereihten, roten Mobility-Autos, in dem einst ein Reisebüro hauste und wo heute die städtische Jugendarbeit einquartiert ist und den aus mysteriösen Gründen seit Jahren eine aufregende Aura umgibt (vielleicht, weil er eigentlich immer wie ein Provisorium wirkt, genau wie die Holztreppe, die zu ihm führt?). Und dann geht es noch einmal eine schmale, alte Treppe hinunter, in eine Unterführung, die so klein und anheimelnd ist, wie das eigentlich eine Unterführung gar nicht kann. Ihre Graffitis sind wie die Bilder in einem Wohnzimmer, gemacht für die, die sich hier wohl fühlen wollen (und eigentlich: wer will das schon? In einer Unterführung? – Aber hier geht das…). Und dann die roten Holzbänke auf dem Perron, die Graffitis links und rechts und man meint, man könne bereits hier die Limmat riechen. All dies geht einem durch den Kopf beim Betrachter von Zwalens Bahnhof-Bildern und man denkt all dies zum ersten Mal – auch wenn man diesen Bahnhof schon tausend Mal erlebt hat. Es ist, als wollte Zwalen mit den verhältnismässig vielen Bildern des Bahnhofs diesem eine separate kleine Hommage in der Ausstellung widmen.
Die satten, farbigen Bilder, gemalt mit Oel oder Dispersion auf Holz, werden ergänzt durch anregende Zeichnungen, die der Ausstellung etwas Luft geben, und trotz weniger Farbe nicht minder freundlich sind. Der Blick, der diese Ausstellung auf Wipkingen erlaubt, ist erfrischend und vertraut zugleich. Die Bilder fügen sich fast unmerklich zu einem Ganzen zusammen. Nur bei einigen Gemälden von Blumen, einem Falter oder einem Flugzeug am Himmel kann man sich fragen, wie sie in diese Ausstellung passen.