«Europa, Frick dich selbst!»

Die Veranstaltung
Was: Thomas C. Breuer: Schweizerreize
Wo: Hochhaus, Limmatplatz
Wann: 14.10.2011 bis 15.10.2011
Bereiche: Performance, Theater
Die Autorin
Fabienne Schmuki: Jahrgang 1983. Absolventin des Masterstudiengangs Kulturvermittlung, «publizieren & vermitteln» an der ZHdK. Co-Geschäftsführung eines Schweizer Independent Musikvertriebs; Promotion & Kommunikation. Freelancerin für diverse Print-/Onlinemedien.
Die Kritik
Lektorat: Elena Ibello.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Im Hochhaus (siehe Unabhängigkeit).
Von Fabienne Schmuki, 17.10.2011
Thomas C. Breuer ist für uns Schweizer der perfekte Vorzeigedeutsche. Er verkörpert auf der Bühne all das, was wir Schweizer an den Deutschen nicht mögen und das, was wir an ihnen mögen. Thomas C. Breuer ist selbstsicher, von grosser Statur, breitschultrig, kürzt seinen zweiten Vornamen mit dem ersten Buchstaben ab und er ist direkt. Er imitiert unseren Dialekt, witzelt über unsere Politiker (Mörgeli) und unsere wenigen Kulturexporte (DJ Bobo). Er ist schnell, eloquent, redegewandt, humorvoll, intelligent und kann über sich selber lachen. Sein Opfer kennt er verdammt gut. In seinem aktuellen Programm «Schweizerreize» ist dies: unsere Eidgenossenschaft.
Fremder, Inder, Nacht
Die Schweizer bekommen an diesem humoristischen Abend also zünftig ihr Fett weg. Doch auch das deutsche Volk kriegt so einiges zu hören. Immer wieder nimmt Breuer seine Heimat selber auf die Schippe, wenn er betont, «Reiz ist geil», und erklärt, dass Hartz IV nicht etwa ein Fussballclub aus dem Ruhrgebiet sei. Er imitiert deutsche Dialekte, als spräche er sie alle seit Kindsalter.
Zugegeben, der Zug kommt etwas zögerlich ins Rollen. Selbst für Schweizer Verhältnisse. Denn der Abend startet mit den vielgehörten «warum Schweizer Deutsche hassen»-Klischees. Weil sie uns die Jobs wegnehmen, weil sie kein Schwyzerdütsch sprechen oder verstehen. Doch dann, gerade, bevor man der Klischees genug gehört hat, kratzt Breuer die Kurve und kommt auf den eigentlichen Punkt zu sprechen: Unsere Angst vor dem Fremden, die Xenophobie.
Um Phobien geht es dem Komiker in seinem aktuellen Programm. Und bald beginnt er das Publikum im bis auf den letzten Platz gefüllten Saal von «Im Hochhaus», der Kleinkunstbühne des Migros-Kulturprozent am Limmatplatz, zu therapieren oder aber mit gut gemeinten Ratschlägen zu versorgen. Denn Angst vor dem Fremden, weiss Breuer, hatte schon Peter Beil, 1966, als er die deutsche Version «Fremder in der Nacht» veröffentlichte. Oder sang Beil nicht viel mehr die Worte «Fremder, Inder, Nacht»?
Bis aufs Letzte ausgereizt
Reiz ist ein dankbares Wort für ein solch wortspielintensives, doppeldeutiges Comedy-Programm wie dasjenige von Thomas C. Breuer. Ein Reiz kann sowohl etwas Gutes, wie auch etwas Schlechtes sein. Vielleicht reizt mich ein Spontanurlaub in die Ägäis – oder aber der Nachbar? Schweizerreize kann stehen für Schweizerreise, für die Reize der Schweiz, für das Reizen der Schweizer. Ist Breuer am Ende selbst der Schweizerreiz, wenn er in seinem knallroten Anzug und den weissen Tretern auf der Bühne steht und uns über unser eigenes Land aufklären möchte? Findet er unsere Verniedlichungsform «-li» vielleicht reizend, oder reizt es ihn, dass ein Schalganfall, das «Schlägli», gar zum Tode, also zum «Tödli» führen kann? Breuer kann dem Reiz nicht widerstehen und treibt es auf die Spitze.
Breuers Ortspiele
Kurz: Thomas C. Breuer ist genial. Seine Wortspiele sind grandios, seine Aussagen reflektiert. Er ist Rhetoriker und Schauspieler in gleichem Masse. Am besten aber ist er dann, wenn er das letzte bisschen Scham ablegt und sich selbst fast vergisst, wenn er ganz alleine versucht, der Stimmung mit einem Countrysong einzuheizen. Oder mit einen Reggaebeat über die Cayman Islands. Dann ist er nämlich ganz typisch Deutsch und zeigt uns, dass man sich selber nicht immer so Ernst nehmen sollte und man auch richtig gut über sich selbst lachen kann.
Das Highlight der Vorstellung ist letztlich aber kein Lied, sondern ein Gedicht. Es sind Breuers «Ortspiele» mit Schweizer Ortschaften, Bergen und Gewässern. Es ist ein Gedicht über die Ängste und Sorgen der Schweiz und ihren Einwohnern und besteht aus Wortschöpfungen aus Breuers Feder, wie etwa die «Eglisauerei», «Sargans und gar nicht!» oder «Europa, Frick dich doch selber!». Es ist ein Fluch und eine Hymne gleichzeitig, an ein Land, das so ein- und ausladend ist, wie die Schweiz.