Vom moralischen Mantra zur poppigen Short Story
Die Veranstaltung
Was: Subjekt Kohlhaas
Wo: Theater der Künste, Bühne A
Wann: 04.11.2011 bis 05.11.2011
Bereich: Theater
Die Autorin
Anja Wegmann: Jahrgang 1981, unterrichtet seit ihrem Germanistikstudium in Zürich und Berlin am Gymnasium. Daneben schnuppert sie gerne Redaktionsluft und gönnt sich Abstecher in die Theaterwelt. Letzteres unterdessen nicht nur genüsslich zuschauend und kritisch zerpflückend; die Weiterbildung in Theaterpädagogik an der ZHdK sieht nämlich vor, Madame dann und wann auch mal selbst auf die Bretter klettern zu lassen, die die Welt …
Die Kritik
Lektorat: Lukas Meyer.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).
Von Anja Wegmann, 8.11.2011
Einen guten Fang hat das Theater der Künste Zürich mit diesem Gastspiel gemacht. Im Rahmen des Studienprojektes «Vom Chaos: Kleist» entstanden, nähert sich Christian Valerius (Regie) in Kooperation mit der Theaterakademie Hamburg der Novelle «Michael Kohlhaas» von 1810 auf originelle Weise: Da erscheint zum einen Kleists störrischer Sprachduktus gepaart mit rechtsphilosophischen Zitaten im Geiste Kants & Co., was dem Stück einen analytisch-differenzierten Schlag gibt. Für eine Verfremdung des Stoffes, der sich um einen Fall haarsträubender Selbstjustiz dreht, sorgen moderne Varianten des Inszenierens – Zitate aus der Medienlandschaft, einlullende Popsongs, theatrale (Selbst-)Ironie und Witzelei. Man hat also beides: seinen Kleist und sein Vergnügen.
Thematische Schwere, in leichte Luft verpackt
Vorahnungen bemächtigen sich des Zuschauers, noch ehe es losgeht. Denn das Bühnenbild (Fabian Wendling) verspricht Dramatisches: eine imposante Wand aus ziegelsteinartig aufgeschichteten Luftkissen (so proper aufgeblasen und vollkornfarben erinnern sie an eine überdimensionierte Variante der Frühstücksflocken «Jamadu Haferkissen»), Industriepolster für Schwertransporte. Wo so etwas Leichtes wie verpackte Luft in Hülle und Fülle vorhanden ist, wittert man antithetische Schwere. Begrüsst wird man entsprechend von einem Mädel, wie alle Schauspieler im stoffigen Rittergewand, das ihr Geschichtchen über einen kleinen Buben zum Besten gibt, der einem Gspänli die Kehle durchschneidet – in spielerischer Nachahmung seines Vorbilds, des Metzgers, kindlich und selbstverständlich unschuldig. Gleich darauf monologisiert Kohlhaas’ Frau Lisbeth über den Samen, der anstatt zu wachsen vom Kaninchen gefressen wird, wonach – huch – plötzlich auch dieses nicht mehr da ist. Angesichts der thematischen Schwere dürften die akkurat aufgetürmten Papiertüten also ihren Platz im Bühnengeschehen haben.
Tatsächlich beweisen die ungewöhnlichen Requisiten bühnentechnisches Potential und werden mehrfach zum integralen Bestandteil der Handlung. So halten sie zu Beginn, als Michael Kohlhaas in sein trautes Heim zurückkehrt, im Sinne eines «Friede-Freude-Eierkuchen» als Luftballons und Tanzpartner her, oder sie dienen dem knutschenden Ehepaar als Sichtschutz. Sinnbilder der Intimität und Glückseligkeit. Gegen Ende wiederum bringt Kohlhaas in seinem Wüten die turmhohe Wand zum Einsturz, bis ein Feld rauchumhüllter Trümmer vor Augen liegt. Passt doch gut, immerhin verkündet Kohlhaas zuvor: «Es gibt nur Entweder-Oder, Neutralität ist ausgeschlossen; Himmel oder Hölle; Glück oder Untergang!» Ungekünstelt wie ästhetisch werden im Medium des Bildlich-Plastischen Stimmungslagen und deren abruptes Wechseln anschaulich.
Wie man eine epische Endlosschleife in eine poppige Short Story umwandelt
Die Geschichte ist eigentlich relativ rasch erzählt: Nachdem der Burgherr Wenzel von Tronka zwei von Kohlhaas’ besten Pferden und seinen Knecht Herse misshandelt hat, der Ruf des schwer gebeutelten Rosshändlers nach Wiedergutmachung nur feudalen Zynismus erntet und seine Ehefrau Lisbeth zu Tode kommt, sieht Kohlhaas als einzige Antwort nur kompromisslose, ungezügelte Rache – woraufhin er mordend und brandschatzend durchs Land zieht, bis er schliesslich selbst zur Rechenschaft gezogen wird. Die Novelle ist von gefühlt epischem Gewicht und keine leichte Kost. Die einstündige Bühnenfassung kommt dagegen wie eine Short Story daher – prägnant verdichtet, klar fokussiert und bekömmlich. Das Stück will nicht etwa die Handlung minutiös nacherzählen, die Action des Rachefeldzuges mimen oder die Frage nach Schuld und Sühne in der Endlosschlaufe wälzen. Stattdessen wartet die Inszenierung mit ausgewählten Momenten auf, in der die schauspielerischen Qualitäten der Akteure zum Zuge kommen.
Analog zum Titel «Subjekt: Kohlhaas» bekommen wir den privaten Kohlhaas zu Gesicht – und sein ausgeprägtes Tugendkostüm. Wir erleben ihn zunächst als reisenden Gatten, der seine Lisbeth per Videobotschaft grüsst und sie heisst, ihren Verstand mit philosophischen Denkaufgaben zu trainieren. Und so sieht man diese vor dem Zubettgehen wacker mit ihrem Töchterchen in der Manier eines Katechismus deklamieren: «Soll man alles tun, was Recht ist? Oder soll das, was man tut, Recht sein?» Und: «Rache ist eine natürliche Leidenschaft – die maximale Vernunft!» Wenn hier das erste Stück Mauer zu Boden stürzt, wird nicht nur die Kulisse zum integralen Bestandteil der Handlung, vielmehr ist es einer der wenigen Kommentare zur Unerbittlichkeit einer verabsolutierten Moral. So spricht Kohlhaas, der im keckem Pferdetrab seiner Steppstiefel dahergeklappert kommt: «Ordnung ist ein wichtiges Prinzip!», und stopft das Loch zu. Herr und Frau Zuschauer sehen sich dergestalt einem Mantra an moralischen Axiomen ausgesetzt. Dank poppiger Regieeinfälle, indem nämlich jegliches optische oder akustische Material symbolisch aufgeladen wird, entfalten diese ihre Wirkung aber immer neu.
Kauderwelsch, Schimpftiraden und ironische Kontrastierungen
Poppig beglückend und gefällige Beispiele für die so wirkungsvoll wie effizient eingesetzten darstellerischen Mittel sind jene Szenen, in denen informativ Bericht erstattet wird: Verpackt etwa Knecht Herse seinen Bericht über das Unheil in der Tronkenburg in ein unverständliches Kauderwelsch, glaubt ihm Kohlhaas sogleich «Wort für Wort» (das Publikum kichert), um sich selber geradezu genüsslich in einer Schimpftirade zu ergehen, in der er auf die Ausdruckskraft des Karate und der Gebärdensprache zurückgreift. Hierauf entwirft Kohlhaas auf imaginärer Wand in grossen Lettern eine Bittschrift an den Dresdner Gerichttag. Im Vorgefühl verdienter Genugtuung gönnt er sich unter rotem Schummerlicht und jazzigem Klaviergedüdel ein paar Luftkissen-Würfe mit Lisbeth. Dann abrupte Stille, fies beissendes Licht: der Antrag ist abgelehnt. Wenig später der nächste Knall, ein Luftkissen haucht die Seele aus, mutiert in Kohlhaas’ Händen zum monströsen Brief. Gerade noch graziös übers Parkett steppend, versinkt dieser in der Lektüre, stösst auf mannigfache Beleidigungen, gerät in Stottern. Im Zuge einer ausgiebigen Selbstbefragung wägt er Optionen des Handelns ab und verlagert sich probeweise auf das Bewerben von Luftkissen («sie sind so glatt, so weich»). Wahrlich albern, aber von Wieland Schoenfelder glänzend gespielt.
Der Rachefeldzug bedient sich des üblichen Zubehörs des Actiondramas –Dunkelheit, Rauch, Helikopter-Lärm, der Radau zusammenkrachender Wände – und dauert nur kurz, derweil Britney Spears melancholisch ihren Song zu Spieldosenklängen säuselt. Inmitten von Trümmern und Gestank watet der Revoluzzer nun durch die Rauchschwaden, macht Halt an einer Eisenstange und sinniert spotbeleuchtet über eine neue Weltordnung, «weil sie kommen muss!» Das letzte Wort indes, bevor er im Trümmerfeld versinkt, gehört der Albernheit: «Feier! Ausschluss aus der Gesellschaft! Yeah, Party! Ich bin nicht mehr in ihr, sondern an ihrem Rand!». Der Wirkung des Stückes tut dies keinerlei Abbruch. Die ironischen Kontrastierungen lockern wie erzähltechnische Kniffe den permanenten Druck, der mit dem Anwachsen der Katastrophe entsteht. So wird die Short Story geniessbar, gut verdaulich, amüsant – ohne dass man Michael Kohlhaas und sein Geschick dabei vergässe.