Viel Joyce, ein bisschen Cage und Borchert

Die Veranstaltung

Was: Stadtlesen: Walk through Joyce – eine polyphone Wegstrecke zu Texten von Joyce
Wo: Treffpunkt Tramhaltestelle Haldenbach (Linie 9/10)
Wann: 28.10.2011
Bereich: Theater

Die Autorin

Fabienne Schmuki: Jahrgang 1983. Absolventin des Masterstudiengangs Kulturvermittlung, «publizieren & vermitteln» an der ZHdK. Co-Geschäftsführung eines Schweizer Independent Musikvertriebs; Promotion & Kommunikation. Freelancerin für diverse Print-/Onlinemedien.

Die Kritik

Lektorat: Lukas Meyer.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).

Von Fabienne Schmuki, 29.10.2011

Die Strecke muss er zwischen 1918 und 1920 dutzendmal gegangen sein: Von der Zürcher Haldenbachstrasse 12 zur damaligen Augenklinik, heute Universitätsspital. James Joyce, grandioser Dichter, begnadeter Schriftsteller, Mitbegründer der modernen Literatur. James Joyce, lebenslanger Säufer, stets mit einem Bein am finanziellen Abgrund, Kritiker der katholischen Kirche und Verfasser von obszönen Inhalten.

Ein biographischer Abendspaziergang

Genau diese Gegensätze der Figur James Joyce wurden von den Masterstudenten und -studentinnen Theater der Zürcher Hochschule der Künste auf ihrem Rundgang «Stadtlesen: Walk through Joyce» wunderbar herausgearbeitet. Direkt vor Joyces alter Eingangstür an der Haldenbachstrasse wurde das Publikum in Empfang genommen und dann etappenweise bis an die Universitätsstrasse 9 geführt.

Studierende begleiteten die Strecke und reicherten sie performativ an. Mitunter traf man auf Joyces Tochter Lucia, auf Carl Gustav Jung, auf Stephen Dedalus (James Joyces Alter Ego aus «A Portrait of the Artist as a Young Man») oder den Meister höchstpersönlich. Sie alle wussten Anekdoten über Joyces Leben zu erzählen, aus «Ulysses» zu rezitieren, über seine Augenkrankheit zu berichten. Oder auch über den Briefwechsel mit Marthe Fleischmann, seiner angeblichen Affäre, die bloss einige Häuser weiter gewohnt haben soll.

Besucherstrom vs. Erzählstrom

Schade nur, dass die im Grunde sorgfältig vorbereiteten und liebevoll einstudierten Sequenzen nicht das gesamte Publikum zu erreichen vermochten. Während man sich insgeheim einen regen Besucherstrom herbeiwünschte, wurde die Grösse des Publikums auf diesen Abendspaziergang zum Hindernis der Darbietung.

Während die Ohren des hinteren Teils der Gruppe noch im Verkehrslärm des Zürcher Kleinstadtdschungels steckten, erzählte weiter vorne bereits ein Schauspieler von Joyces finanzieller Abhängigkeit zu seiner Verlegerin oder von der intensiven Beziehung zu seiner Tochter Lucia.

So wähnte sich, wer hinten ging, eher in einer polyphonen Geräuschkulisse à la John Cage oder bei Wolfgang Borcherts «Draussen vor der Tür»: Ganz zum Ende des Rundgangs fand fast die Hälfte des Publikums im kleinen Café keinen Platz. Somit verpassten sie Teile der Grabrede für James Joyce und den Spuk, den Joyces Geiste dabei trieb.

Einäugig oder augenzwinkernd

Bleibt also die Erfahrung eines unterhaltsamen Abendspaziergangs durch ein wunderbares Quartier der Stadt Zürich, sowie einige doch ganz schöne Bilder, die hängen blieben. So etwa James Joyce, wie er am Tisch sitzt, Zigaretten raucht und einen Brief an Marthe Fleischmann verfasst – fast wähnte man sich zurück in der Zeit, als die Welt noch ein Stück langsamer voranschritt. Wäre da nicht das hell leuchtende Schild mit der Aufschrift «LadyFit» gewesen. Im Anschluss an die Szene wurden den Spaziergängern Augenklappen verliehen. Vielleicht sollten diese nicht nur Joyces Augenleiden illustrieren. Vielleicht sollten sie dem Publikum nahelegen, an diesem Abend einfach ein Auge zuzudrücken.

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