Observatio III
Die Veranstaltung
Was: ZHdK-Malersoiree Kunst und Medien
Wo: Zürcher Hochschule der Künste
Wann: 03.11.2011
Bereich: Observer in Residence Perikles Monioudis
Von Perikles Monioudis, 3.11.2011
Thomas Müllenbach sah zur Wand. Sein Blick haftete an einem 50 x 70 cm grossen Ölbild. Bevor er sich zu dem schweren, netten Golem äusserte, der uns den Rücken zuwandte, sah er sich auch das zweite Ölbild gleicher Grösse und selben Motivs an, das daneben hing. Er wisse, dass das ein Golem sei, hob er an, denn Simon Bachmann, der die Bilder gemalt hat, hatte sie ihm gezeigt, bevor sich der Student mit seinen Werken vor die etwa zwanzig Studenten wagte. Zu sehen war ein Hintern, ein Arm und ein Rücken, darüber ein angedeuteter Kopf, alles in denselben Farben gemalt, fleischig, pastös; scharf der Kontrast zum Dunkelblau der Nacht, das den plumpen Körper umgab. Fleisch, so Müllenbach, nenne man auf Bildern Incarnat. Das Incarnat des Golem – er begann, den Mythos des Golem nachzuerzählen, der aus Lehm gebildeten, zum Leben erweckten Gestalt, die in der jüdischen Legende den Juden bei Bedarf zur Hand geht. Das Incarnat des Golem finde er gelungen, aber warum das kleine Format, und warum passt nur ein Ausschnitt des Golem hinein, und warum dieser Ausschnitt? Die Studenten meldeten sich nach und nach zu Wort, gaben ihre Ansichten preis, fragten Bachmann über den nachtdunklen Hintergrund aus, gaben Antworten. Müllenbach hatte seine Freude daran. Nicht wie Rabbi Löw vor dem Golem, aber doch wie der meisterhafte Pädagoge, der er ist, vor seinen animierten Studenten, schlug er nach einer Weile die Brücke zu seinem Eingangsreferat, am Tisch sitzend gehalten, zwei Dutzend Ausstellungskataloge vor sich ausgebreitet, die Veranstaltungen in zwei Begriffe gliedernd: Mystik und Kommerz. Vor allem Mystik, so Müllenbach, sei ein wichtiges Thema der Gegenwart Zeit. Eine junge Künstlerin zeige in der Nähe kabbalistische Zahlenspiele auf Papier, eine andere Ausstellung beschäftige sich mit der «Emptyness in the middle». Jemand präsentiere Pinselkreise; Kreise, sagte Müllenbach, implizieren eine Mitte. Achtet auf die Bezüge, hatte der Meister eingangs gesagt, die Kalligraphie hier habe mit der Mitte zu tun. Er empfahl aktuelle Artikel aus dem Tages-Anzeiger und der Neuen Zürcher Zeitung; das Thema Mitte, Leere, Mystik, und hier, ein Komplex über den Kommerz. Unabhängig von der Machart gehe es bei den von ihm zusammengestellten Empfehlungen nur um diese beiden Begriffe, dann äusserte er: «Stil ist eine alte, tote Hose». Und die Anwesenden merkten wohl, worum es ihm ging: zuerst die eigene Sicht, dann die eigene Hand.
Als zweiter Student präsentierte sich Thomas Ospelt mit einem grossen Ölbild vor seinen Mitstudierenden. Eine Frau im mittleren Alter war darauf festgehalten, wie sie mit Rollerblades auf einer verkehrsruhigen Strasse dahinglitt. Ospelt hatte ein kleinformatiges Agenturfoto von Keystone abgemalt und dabei die Farben ins Schrille gewendet, helles Grün, Rosa, hellgrauer Asphalt. Er habe diese gestellte Momentaufnahme einer «glücklichen» Frau für eine lange Zeitdauer festhalten wollen, nicht nur für den Erscheinungstag. Weshalb, wurde er gefragt, und ob das überhaupt funktioniere auf diese Weise? Die Anwesenden konnten ihrem Kollegen nicht folgen, auch fanden einige das Bild nicht fertig gemalt, jemand fand die Wirkung harmlos, eine andere fragte grundsätzlich nach den Möglichkeiten der Vergrösserung. Müllenbach selbst mahnte Exaktheit an, so ein grosses Bild müsse exakt gemalt sein, nicht ungefähr, die Details, die Ausfertigung müsse stimmen, sonst wirke so ein Bild lieblos, auch wenn die Lieblosigkeit bei Ospelt durchaus Programm sei; der Maler sympathisiere hier ja nicht mit seinem Objekt.
Der Besucher, der sich zuvor durch die anbrechende Zürcher Nacht zum Escher-Wyss-Platz und anschliessend in die nahen Ateliers der ZHdK begeben hatte, hörte dem Meister und seinen Studenten zu, liess sich von der dichten Atmosphäre im kargen Saal erfassen, wähnte sich zurück in die alte Zeit, als Symposien dieser Art die gängige Weise der Wissensaneignung darstellten und Akademie noch kein geschützter Begriff war, sondern eine Schule Platons am Hain des griechischen Helden Akademos zu Athen. Er imaginierte sich an die Gestade des Mittelmeers, das helle Licht blendete ihn, das Meer lag ruhig. Platon liess andere zu Wort kommen, aber er redete selbst auch, dachte der Besucher, als Müllenbach nach mehrmaliger erfolgloser Aufforderung, ein weiterer Studierender möge vielleicht die Gunst der Stunde für ein Feedback nutzen, zu sich selbst überleitete und mit Hilfe zweier Studenten eine handvoll kleinformatiger quadratischer Bilder aus einer Serie von 35 gleichartigen an der Wand befestigte. Die Bilder zeigten gewollt unspektakuläre Perspektiven auf bekannte Motive wie etwa den inzwischen abgerissenen Berliner Palast der Republik – den vom Blitzlicht grell erleuchteten Maschendrahtzaun an der Rückseite des Gebäudes; die Fotos malte Müllenbach auf geleimtes Papier. «Wrong view on things», nennt er seinen Ansatz, mit dem er Normalität und Langeweile, wie er sagt, auf ihren Gehalt abgeklopft. Die Studenten sahen sich alles an, stellten Fragen. Der Meister aber, dachte der Besucher, hatte alles schon gesagt: Erst das eigene Auge, dann die eigene Hand. Und: Die Leere ist immer in der Mitte.
ZHdK-Malersoiree des DKM, Termine nach Vereinbarung, Dozent Thomas Müllenbach. VBK in der Pfingstweidstr. 6, 3. Stock. Besuch am 3. November 2011.