Die Pianistin als Kulturvermittlerin

Die Veranstaltung

Was: Neuguet Veranstaltungen, 2. Matinee
Wo: Neuguet Wädenswil, Heubühnen-Saal
Wann: 19.06.2011
Bereich: Musik

Die Autorin

Gabriele Spiller: Kulturvermittlerin, Journalistin und Autorin: http://gabriele-spiller.jimdo.com

Die Kritik

Lektorat: Lukas Meyer.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: artarena.ch am oberen Zürichsee (siehe Unabhängigkeit).

Von Gabriele Spiller, 20.6.2011

Mit einem um Georg Friedrich Händel kreisenden Programm gestaltete die vielfach ausgezeichnete Pianistin Ragna Schirmer eine Sonntagsmatinee im Heubühnen-Saal Neuguet in Wädenswil. Ihr Ziel, mit der Auswahl der Stücke «die alte und die neue Zeit» zu verbinden, erreichte sie überzeugend. Schirmer war das Medium. Aufgrund ihrer Kenntnisse und ihrer Technik zog sich ein roter Faden durch die kommentierte Interpretation von Händel, Corigliano und Brahms.

Für die Klavier-Professorin an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim ist Händel eine Mission. Der Barockmusiker war selbst ein Improvisationskünstler und wollte seine Klaviersuiten gar nicht in Noten aufschreiben – bis es andere taten und damit die Lorbeeren ernteten. So entstand seine Suite d-moll HWV 437, die Schirmer aus den niedergeschriebenen Akkordfolgen rekonstruierte. Wie es zu Händels Zeiten Usus war, wurde auf Basis dieser Harmonien im Verlauf des Konzerts improvisiert. Schirmer ging diese Aufgabe frisch an und liess ihren persönlichen Hintergrund aus Romantik und Moderne einfliessen, ohne dass es zu stilistischen Brüchen kam.

Beethoven grüsst aus dem Jenseits

So entfaltete Schirmer eine grosse Klangfülle, die auf dem Blüthner-Flügel vor Ort gegenüber dem zeitgenössischen Cembalo ohnehin gegeben war. Sie setzte Verzierungen und Triller, war freier in der Metrik und liess den Barock seine üppigen goldenen Ketten ablegen. In der folgenden Chaconne G-Dur HWV 435, mit 21 Variationen über ein Thema, öffnete sie ein Schatzkästchen. Die Beschäftigung mit der barocken Improvisationskunst habe ihr selbst einen tieferen Zugang zu dieser Musik erschlossen, erzählte sie.

Geschickt schlug sie die Brücke zur «Fantasia on an Ostinato» des 1938 geborenen John Corigliano. Auch hier darf auf vorgegebenen Tönen improvisiert werden, so dass das Stück eine Vortragslänge zwischen sieben und zwanzig Minuten hat. Schirmer setzte den früher verbreiteteren Bebungseffekt ein, indem sie eine Taste nur halb anschlug, und Töne lange nachklingen liess. Gegen Ende der Fantasia scheint ein Zitat aus Beethovens Sinfonie Nr. 7 mystisch auf, ein Kunstgriff des Komponisten, der an ein esoterisches Chanelling erinnert.

Improvisation als neue alte Kunst

Im letzten Teil des anderthalbstündigen Konzerts erklang wieder Händel, in Form der Suite B-Dur HWV 434, mit einem stark improvisierten Prélude, einem pianistischen Sonatensatz und einer Aria con variazioni. Konsequent hängte sie die 25 Variationen und eine Fuge über ein Thema von Händel, Op. 24 von Johannes Brahms, sofort an. Schirmer ist eine Künstlerin, die ihren Vortrag unmittelbar angeht, ein Aufhorchen erzielt, um dann ihre tiefe und persönliche Beschäftigung mit der Materie aufzuzeigen.

Das Interesse an der Improvisation, wie sie Ragna Schirmer meisterhaft vorführte, kann dabei als Zeichen der Zeit gewertet werden, als Ausbruch aus einem völlig durchgeplanten Alltag oder einer durchstrukturierten Umwelt. Sie gibt sich überschwänglich hinein in die barocke Lebensfreude. Denkbar ist ihre Annäherung aber auch als postmoderne Herangehensweise, die überkommene Regeln in Frage stellt und freigeistige Lösungen sucht – allerdings in einem konventionellen Rahmen.

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