Im Verfall entsteht Raum für Neues
Die Veranstaltung
Was: made you feel like another spoke in the wheel - Fotografien von Christine Hunold
Wo: Kunstraum R57
Wann: 06.05.2011 bis 27.05.2011
Bereiche: Bildende Kunst, Film+Fotografie
Die Autorin
Gabriele Spiller: Kulturvermittlerin, Journalistin und Autorin: http://gabriele-spiller.jimdo.com
Die Kritik
Lektorat: Stefan Schöbi.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: KunstRaum R57 (siehe Unabhängigkeit).
Von Gabriele Spiller, 8.5.2011
Eine kleine, aber feine Fotoausstellung erfreut noch bis 27. Mai 2011 in der Galerie R57 die Wipkinger Nachbarschaft und alle Interessierten: «made you feel like another spoke in the wheel» ist die fotografische Spurensuche der Zürcherin Christine Hunold in Detroit. Ihrer Affinität zu niedergehenden Städten, urbanen Brachen und dem universalen Himmel ist sie dort 2007 und 2010 nachgegangen. Die Stadtansichten der einstigen US-Metropole sind desolat. Ihre Perspektiven lassen den Betrachter ins Leere laufen. Die abgebildeten Objekte scheinen verlassen und haben ihre Bedeutung verloren.
Der Horizont verläuft auf Hunolds Bildern mittig über das Panorama, wie aus dem Cockpit eines startenden Flugzeugs. «Startbahnen in die Leere» nannte die Kulturjournalistin Andrina Jörg diese Ausblicke: «Auf einen einzigen Punkt hin wird alles gedacht». Dieser Fluchtpunkt führt hinaus aus der Stadt. So passt es, dass die einzigen Menschen auf Hunolds Bildern in Bewegung sind, um an einen anderen Ort zu kommen. Die Künstlerin stellt bunte Videostills von Frauen auf New Yorker Strassen den statischen Schwarz-weiss-Ansichten Detroits gegenüber. Eine innovative Bildsprache, mit der Hunold assoziiert, dass junge, gut ausgebildete Frauen, die ersten sind, die einen Ort im Niedergang verlassen. Sie sind flexibel und können überall ihr Glück machen. Die einst männerdominierte Hauptstadt der Automobilproduktion hat ihre besten Zeiten hinter sich – ein Auslaufmodell im übertragenen Sinne?
Der Himmel als Bezugspunkt
Auch auf dem 180 x 120 cm grossen Centerpiece der Ausstellung, «Lissabon_0269», nimmt der Blick in den Himmel genau die Hälfte des Bildes ein. Hunolds Technik besteht darin, die Kamera an die Fassade zu legen und steil nach oben, Richtung Dachfirst zu fotografieren. So erzielt sie überraschende Strukturen, die in endlosem Azur enden. Der Himmel, erzählt sie, sei für sie schon als Kind, das häufig umziehen musste und nirgends richtig Wurzeln schlagen konnte, der einzige Bezugspunkt gewesen, um sich zu verorten.
Die Serie «Packard Plant», die monochrome Ansichten einer verfallenden Fabrik als Pigmentdruck auf Aluminium zeigt, ist ebenfalls eine kreative Umsetzung einer inhaltlichen Botschaft. Hunold folgt den architektonischen Linien des Industriedesigns und übersetzt sie ins quadratische Format 20 x 20 cm. In Kombination mit den Blautönen des Drucks entsteht die Anmutung einer Delfter Kachel. Das Bild ist die Vignette einer Geisterstadt. Reminiszenzen an 9/11 werden wach – Trümmer und Stahlträger sind, farblich verfremdet, wieder schaurig schön.
Nicht die Zerstörung an sich, sondern die Nische für Bedrohtes und die Chance auf einen Neubeginn sieht die Fotografin auf ihren Exkursionen. «Auf Industriebrachen erlebe ich Ruhe und Frieden, wie man sie nicht mal mehr in den Bergen findet» berichtet Hunold. Und wie ihr Umweltbiologen bestätigten, tauchen sogar vermeintlich ausgestorbene Pflanzen auf diesen Arealen wieder auf. Ein Lichtblick.