Halbjähriges Rendez-vous mit Zürich

Die Veranstaltung

Was: Gespräch: Olli Jalonen – erster «Writer in Residence»
Wo: Literaturhaus Zürich
Wann: 20.01.2011
Bereich: Literatur

Die Autorin

Anja Wegmann: Jahrgang 1981, unterrichtet seit ihrem Germanistikstudium in Zürich und Berlin am Gymnasium. Daneben schnuppert sie gerne Redaktionsluft und gönnt sich Abstecher in die Theaterwelt. Letzteres unterdessen nicht nur genüsslich zuschauend und kritisch zerpflückend; die Weiterbildung in Theaterpädagogik an der ZHdK sieht nämlich vor, Madame dann und wann auch mal selbst auf die Bretter klettern zu lassen, die die Welt …

Die Kritik

Lektorat: Stefan Schöbi.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Literaturhaus Zürich (siehe Unabhängigkeit).

Von Anja Wegmann, 23.1.2011

Manche neu initiierten kulturellen Gefässe werden lautstark als Innovation angepriesen – auf Seiten der Trägerschaft nicht zuletzt mit dem Hintergedanken, sich dadurch selbst eine Blume ins Knopfloch stecken zu können. Doch Beatrice Stoll, Leiterin des Literaturhauses Zürich, weiss nur zu gut, dass sich das vorerst auf 5 Jahr befristete Programm mit dem ersten «Writer in Residence Zürich» erst noch beweisen muss (weitere Informationen zum Projekt und seiner Finanzierung: www.writers-in-residence.ch). Entsprechend unprätentiös stellt sie dem Zürcher Publikum den finnischen Autor Olli Jalonen, geboren 1954, vor – ebenso unaufgeregt, wie sich dieser selbst präsentiert. Wer eine gewisse Sprödheit in Jalonens Auftreten entdecken mag, der sollte allerdings nicht gleich die gängigen Klischees über schweigsame und tiefgründige Skandinavier bestätigt sehen, sondern den Autor einfach als einen kundigen, ausdauernden Beobachter der Dinge verstehen. Im Literaturhaus hat er seinen jüngsten Roman, «14 Knoten bis Greenwich» (2008), vorgestellt, der letztes Jahr als erstes seiner Werke ins Deutsche übertragen worden war.

Ein «Road Movie» auf dem Nullmeridian

In seiner finnischen Heimat gilt Olli Jalonen bereits als Klassiker. Klassisch mutet auch der Stoff von «14 Knoten bis Greenwich» an, einem literarischen Road Movie, wie man es im deutschen Sprachraum seit Daniel Kehlmanns «Vermessung der Welt» (2005) nicht mehr gelesen hat. Der Ansporn für Jalonens Hauptfigur besteht aber nicht im Kartografieren des Globus, sondern in dessen Umrundung entlang dem Nullmeridian. Der Roman erzählt von einem eigentümlichen wie ungemütlichen Wettbewerb und von einer Reiseerfahrung der besonderen Art: Der Verzicht auf technische Hilfsmittel und jeglichen Kontakt zur Aussenwelt ist oberstes Gebot.

Mit Graham, Anführerfigur der vier Reisegenossen, steht ein geografischer Rolling Stone im Zentrum des Abenteuers: Er fühlt sich draussen zu Hause und ist akribisch darauf bedacht, die Wettbewerbsbedingungen bezüglich Ressourcen und stufenweiser Qualifizierung an sämtlichen Stempelstellen zu erfüllen. Petr wiederum, der Graham als erster Reisekumpan und ungleich bescheidenerer Gegenpol zur Seite gestellt ist, überlässt sein Leben seit jeher lieber dem Strom des Zufälligen. Graham kann in dieser Konstellation alle Entscheidungen selber treffen – auch dann, als Grahams Ehefrau Isla und Petrs Bruder Kari zur Reisegesellschaft stossen. Doch die Systemtreue Grahams bringt die Gruppe nicht allzu weit, sondern führt letztlich zu einer tragischen Situation, die unumkehrbar ist und die Lebensrichtung aller verändert.

«Dating Things – das Rendez-vous mit den Dingen

Olli Jalonen zeigt sich fasziniert vom Phänomen der Zielfixiertheit, die der Idee eines lebensphilosofischen Sich-Treibenlassens diametral entgegen steht. Beide Konzepte kommen in «14 Knoten bis Greenwich» vor und neben der Weltreise im Fussschritt-Tempo unternimmmt der Roman auch eine Reise ins Innere der vier Menschen.

Im Gespräch mit der Journalistin Annegret Ruoff eröffnet Olli Jalonen dem Publikum auch die Entstehungsgeschichte des Romans. Er erzählt, wie er auf seinen zwanzig Jahre dauernden Recherchen fast die Hälfte des besagten Längengrades selbst bereist habe, wenn auch in Etappen. Dieser «Roundtrip» über 40’000 Kilometer und durch die unterschiedlichsten Gefilde der Erde habe ihn neue Blickwinkel gelehrt. Entscheidend, so der Autor, sei für ihn das Rendez-vous mit den Dingen, im englischen O-Ton: «dating things». Es passt dazu, wenn Jalonen den Schreibprozess als ein Sammeln von Fragmenten beschreibt, die sich erst am Ende wunderbar und spontan zu einem Ganzen zusammenfügten. Man möchte mehr erfahren – Olli Jalonens erstes Rendez-vous mit Zürich, ein warmes Willkommen, ist jedenfalls geglückt. Und seine Zeit als Writer in Residence Zürich erst gerade angebrochen.

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