Ein gebrochener Phallus? Holy Shit!

Die Veranstaltung

Was: Bildwelten_5
Wo: Kunstraum R57
Wann: 01.12.2011 bis 17.12.2011
Bereich: Bildende Kunst

Die Autorin

Stephanie Rebonati: 1989. BA in Journalismus und Organisationskommunikation (IAM), aktuell MA of Arts in Art Education publizieren & vermitteln (ZHdK), als freie Journalistin für verschiedene Medien tätig.

Die Kritik

Lektorat: Lukas Meyer.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: KunstRaum R57 (siehe Unabhängigkeit).

Von Stephanie Rebonati, 5.12.2011

Es ist goldig. 23 Karat. Es liegt da wie ein Häufchen Elend. Ein goldiges Elend. Doch was ist es? Eine Wurst, ein gebrochener Phallus? Der Name verrät es: Holy Shit. Kacke wertvoll gemacht quasi. Was sagt es aus? Leute, schaut hinter die Fassade! Kratzt nicht nur an der Oberfläche! Nicht alles was glänzt, ist Gold! Oder in den Worten der 35-jährigen Künstlerin Carol May: «Ich möchte, dass die Menschen nachdenken und reflektieren». Gut. Das passiert unausweichlich, wenn man Holy Shit betrachtet. Man denkt: «Oh, das ist hübsch, lustiger Name, ui nein pfui, das ist ja Kacke, Holy Shit! Jetzt ist es nicht mehr schön» So merkt der Betrachter, wie oberflächlich er schaut und empfindet. Er schämt sich ein bisschen und geht ein Kunstwerk weiter.

Sie kamen, sahen und staunten

Im KunstRaum R57 in Zürich Wipkingen hat man bis zum 17. Dezember reichlich Zeit von einem Kunstwerk zum nächsten zu gehen. Denn die schmucke Galerie zeigt 106 Werke von 37 Künstlern. «Bildwelten» heisst die Gruppenausstellung und wird zum fünften Mal von Kurator Ruedi Staub organisiert. Dieser hat ein Händchen für Präsentation: Der Raum ist gerademal 18 Quadratmeter gross. Das entspricht etwa einem Drittel eines Zugwaggons ohne Sitze.

Darin hängen, stehen und liegen 106 Erzeugnisse der zeitgenössischen Kunst. Und die wurden unterschiedlich hergestellt: Acryl auf Zeitung, Inkjet auf Büttenpapier, Öl auf Leinwand, Öl auf Holz, Stempel auf Papier, Fotografie, Sieb- und Laserdruck, Collage, Radierung und Audioinstallation. Alles an der Vernissage am ersten Dezember erstmals präsentiert. Sie kamen, sahen und staunten, der Laie, der Kritiker und der Künstler.

Ein Termin ist ein Berg?

«Und, haben sich die 13 Minuten gelohnt?», fragte ein Mann Mitte vierzig, Berner Zunge, coole Wollmütze, warme Augen. «Ja, voll», antwortete eine junge Frau. Diese sass zuvor in einer Vitrine in der Galerie und hörte sich die gut 13minütige Audioinstallation von Künstlerin nico lazúla an – «Ein Vogel ist ein Haus. Ein Termin ist ein Berg». Eine spannende Erfahrung, eine abschottende und integrierende zugleich. Da sitzt man in einem kleinen Glashaus, kein Platz, um Arme, Beine, ja gar den Körper zu strecken. Man sitzt einfach auf dem Stuhl und lauscht der Frauenstimme, die mal flüstert, um dann wieder von ohrenbetäubenden Geräuschen übertönt zu werden.

Während des Zuhörens blickt man nach aussen und beobachtet die Gäste der Vernissage, man sieht deren Lippen bewegen, deren Hände gestikulieren, deren Augen funkeln, aber man ist nicht Teil davon. Sondern: Man wird Teil des Kunstwerks, dort in der Glasvitrine, und die dort draussen werden irgendwie auch Teil der Installation, ein grosses Durch- und Miteinander, wobei die unbekannte Frauenstimme den roten Faden bildet. Sie ist quasi Zugpferd. Man fragt sich: Was bildet den roten Faden in der heutigen lauten und grossen Welt? Wem folgen wir? Warum folgen wir? Es ist ein nachhaltig wirkendes Werk, diese Audioinstallation von nico lazúla. 13 Minuten aktiver Abwesenheit wert.

Zürcher Ton: «Pfui, das ist ja schrecklich!»

Einen Besuch wert ist er sowieso, Ruedi Staubs 18 Quadratmeter kleiner Kunst-Mikrokosmos. Hier begegnet man einander – Laie, Kritiker, Künstler. Hier darf man Fragen stellen und verdutzt vor einem Werk stehen, anecken quasi. Das ist in imposanteren Galerien nicht immer erwünscht, man fühlt sich beobachtet. Oder an Kunstmessen wie der soeben stattgefundene Kunst 11 in Oerlikon. Dort fühlt man sich irgendwie gezwungen, alles schlecht und schrecklich zu finden und das vor dem Werk selbst noch zu offenbaren. Das gehört anscheinend zum guten Ton. Dem Zürcher Ton. Oder gar allen Tönen?

In Ruedi Staubs Kunststube darf man alles sagen und fragen. Nur die Frage nach seinem Lieblingsobjekt beantwortet er nicht, das wäre gemein, unfair und sowieso die Aufgabe des Kritikers. Und das hat dieser an dieser Stelle soeben getan und überreicht das Wort nun an den Leser. Und dies mit einem Tipp: Am 9. Dezember um 19 Uhr führt die Künstlerin nico lazúla eine Intervention in ihrer Vitrine durch. Nur so viel. Da sollten sie hin, der Laie, der Kritiker und der Künstler.

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