Vulgäre Komponisten und nüchterne Dichterinnen
Die Veranstaltung
Was: Wahlverwandtschaften – Literatur und Musik
Wo: Tonhalle, Kleiner Saal, Gotthardstrasse 5
Wann: 31.10.2010
Bereiche: Literatur, Musik
Der Autor
Gregor Schenker: Jahrgang 1984, studiert Germanistik sowie Filmwissenschaft in Zürich und schreibt seit langem leidenschaftlich Kritiken, unter anderem für «badmovies.de» oder «students.ch».
Die Kritik
Lektorat: Simon Brühlmann.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Literaturhaus Zürich (siehe Unabhängigkeit).
Von Gregor Schenker, 2.11.2010
Hans Werner Henze ist um handfeste Worte nicht verlegen: «Auch Lyriker können und müssen scheissen», schreibt er an Ingeborg Bachmann. «Also scheiss auf München, ganz klar und präzis.» So profan geht es mitunter zu im Briefwechsel zwischen dem bekannten Komponisten und der berühmten Schriftstellerin. Und so hört man das auch in der Tonhalle, wo sich das mehrheitlich schon ältere Publikum für die jüngste Veranstaltung aus der Reihe «Wahlverwandtschaften – Literatur und Musik» eingefunden hat. Bereits seit 2008 läuft diese Zusammenarbeit des Literaturhauses und des Tonhalle-Orchesters, und sie dreht sich stets um die vielfältigen Verflechtungen zwischen den beiden Künsten. Und besonders anschaulich sind diese Verflechtungen bei Henze und Bachmann zu beobachten, wie wir anhand von Auszügen ihres Briefwechsels aus den Jahren 1952 bis 1971 vorgeführt bekommen.
Kennen gelernt haben sich die beiden 1952 bei einem Treffen der Gruppe 47, erklärt die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Sigrid Weigel in ihrer Einführung. Wenig später wendet sich Henze, begeistert von den Werken der gleichaltrigen Autorin, brieflich an Bachmann und überredet sie dazu, gemeinsam an verschiedenen Projekten zu arbeiten. Bachmann schreibt in der Folge Verse für Kompositionen von Henze, er wiederum vertont Gedichte von ihr, zusammen stellen sie die Opern «Der Prinz von Homburg» oder «Der junge Lord» auf die Beine. Zudem behalten sie das Schaffen des jeweils anderen im Auge und loben es in den höchsten Tönen.
Aber nicht nur die gemeinsame Arbeit ist Thema der Briefe, es geht auch um Privates. Wir erfahren von Streitigkeiten und Versöhnungsangeboten, von Eifersucht, von Reisen in die USA oder nach Italien und nicht zuletzt auch vom ambivalenten Verhältnis zur deutschen Heimat. Vor allem Henze nimmt kein Blatt vor den Mund, gibt sich sehr selbstbewusst, lässt seinen Verdruss ungehemmt durchblicken und bedient sich eben auch einer bisweilen sehr derben Sprache. Damit wirken seine Schreiben etwas lebendiger und witziger als die eher nüchternen Briefe Bachmanns. Von ihr hören wir dafür einige ihrer berührenden Gedichte. Ob aber nun Vulgarität oder Dichtung: Den Schauspielern Susanne-Marie Wrage und Daniel Hajdu gelingt es, die Texte zum Leben erwecken und zu einem besonderen Genuss zu machen – trotz aller Versprecher.
Vom Wort zur Musik
Aber nicht nur die literarischen, sondern eben auch die klanglichen Welten kommen zu ihrem Recht. Musiker des Tonhalle-Orchesters spielen zum einen Hans Werner Henzes «Quattro Fantasie», eine viersätzige Komposition, in der sich Harmonie und Dissonanz stetig abwechseln, woraus ein äusserst reizvolles Ganzes entsteht – es fällt nicht schwer, die Verbindung zum Briefwechsel zu ziehen. Den letzten Teil bestreiten die Musiker mit einer Komposition des sowohl von Henze als auch von Bachmann verehrten Gustav Mahler: Das Frühwerk «Klavierquartett a-Moll» führt endgültig vom Profanen zurück zum Erhabenen und bringt diese Collage aus Konzert und Lesung zu einem gelungenen Abschluss.
Alles in allem wird der ganze Komplex um Bachmann und Henze sowie ihr gemeinsames Schaffen in der zweistündigen Veranstaltung nur angerissen, dies aber immerhin so interessant wie amüsant. Zweifelsohne gibt «Liebe Eiche … dein Ölbaum» den Impuls, sich etwas tiefgehender mit der Thematik zu beschäftigen, und macht Lust auf weitere «Wahlverwandtschaften».