Reich an Ideen, arm an Substanz
Die Veranstaltung
Was: ID - Projekt 13
Wo: Theaterhaus Gessnerallee
Wann: 04.03.2010
Bereiche: Performance, Theater
Der Autor
Philipp Ramer: Jahrgang 1987, studiert Germanistik und Kunstgeschichte in Zürich. Freie Mitarbeit für die Theaterredaktion der NZZ.
Die Kritik
Lektorat: .
Von Philipp Ramer, 9.3.2010
Der Abend im Theaterhaus Gessnerallee beginnt vielversprechend: Wie in einem Hochsicherheitstrakt werden die eintretenden Zuschauer gruppenweise durch ein Labyrinth enger Gänge geschleust, vorbei an Sicherheitspersonal und Überwachungskameras, beschallt von Lautsprecherdurchsagen und maschinellen Geräuschen. Der Weg zum Sitzplatz führt über die Bühne, wo zunächst an einem verglasten Schalter der zuvor erhaltene Passierschein gestempelt wird. Ein Beamter verweist einen weiter zum Fingerprint-Scanner; die letzte Station bildet ein zweiter Schalter, wo der Passierschein geprüft und von jedem Besucher eine Fotografie gemacht wird. Aufgrund dieser quasi-sicherheitstechnischen Prozedur dauert es eine ganze Weile, bis alle Besucher Platz genommen haben. Wer schon sitzt, amüsiert sich ob dem Szenario – umso mehr, als fortwährend die Ansage erklingt, die Theatervorstellung sei nicht interaktiv und das Mitmachen nicht erforderlich.
Tücken und Fallen
Tatsächlich aber ist der Part des Publikums nach dieser einführenden Sequenz getan, ab hier übernimmt das Ensemble. Die beiden adrett gekleideten Beamtinnen (Lilian Fritz, Helene Hoem) bleiben in ihren halbrunden Schalter-Kabäuschen links und rechts der Bühne sitzen, während für den Wachmann (Wowo Habdank) eine retrofuturistische Schaltzentrale in die Mitte des Raums gefahren wird. Von da aus, mit dem Rücken zum Publikum, wird er die Bilder der Überwachungskameras kontrollieren, die auf die grosse weisse Wand des Bühnenhintergrunds projiziert werden. Vor dieser elegant-sterilen Kulisse also beginnt das Stück, geschrieben und unter der Regie von Lukas Bangerter: eine lose Folge von Parabeln auf die Mechanismen und Tücken der Überwachungssysteme, die Fallen der Sicherheitsbürokratie, auf Isolation und Misstrauen, auf Ich-Findung im Zeitalter der biometrisch definierten Identität.
Da ist zum Beispiel der Firmenangestellte (Jesko Stubbe), der in Bedrängnis kommt, als ihm der Zutritt zum Arbeitsplatz via Fingerabdruck-Scan verweigert wird. Weder der Computer noch die Dame an der Rezeption erkennen ihn, seine Daten müssen neu erfasst, sein Körper neu vermessen werden. Unerbittlich wird er vom einen Schalter zum zweiten und zurück gejagt („Kein Zutritt ohne Passierschein!“ – „Kein Passierschein ohne Ausweis!“ – „Ohne Passierschein kein Ausweis!“) – ein Opfer des Systemfehlers und der Bürokratie.
Da ist der Wachmann, der seine Arbeit erklärt: „Hinschauen muss ich, die Augen offen halten, und sehen ob da etwas ist, was da nicht sein soll.“ Und der doch seinen Auftrag nicht erfüllen kann, denn „10 bis 20 Mal in der Minute muss ich Blinzeln, das heisst für 6 Sekunden bin ich blind in der Minute!“ Auch wenn er sieht, dass etwas Unrechtes passiert, kann er es nicht verhindern, sondern nur bezeugen – ein neurotischer, ohnmächtiger Beobachter.
Da ist die Frau am Schalter, die vom Sicherheitsbeamten träumt, der ihr mit der Überwachungskamera nachstellt, sie heranzoomt und aus der Ferne begehrt: „Manchmal lächle ich ihm zu und stell’ mir vor, wie er zurück lächelt, in einen Monitor, der ihm ein Bild zeigt, das mich meint“ – eine vereinsamte Romantikerin, die im Surren der Kamera ein Liebeslied hört.
Kratzen an der Oberfläche
Das sind allesamt interessante Szenen; nicht sonderlich einfallsreich vielleicht, aber solide gespielt und multimedial äusserst kreativ umgesetzt. Die Videoprojektion des Scanners etwa, der den Angestellten Stubbe „ins Visier nimmt“ und abtastet, oder der animierte dreidimensionale Kopf, der zwischen den Gesichtern der Protagonisten hin und her mutiert, sind schöne, gewitzte Effekte (Video: Michel Weber, Silvan Kappeler). Doch während sie technisch durchweg überzeugt, weist die Aufführung auf szenischer Ebene mitunter eklatante Schwächen auf. Es gibt etliche Auftritte, die angestrengt wirken, überlang und ermüdend sind: alberne Verwirrspiele mit den Gegensprechanlagen, absurd-panische Suche nach einem Eindringling im System (Jorgos Margaritis), bemühend-skurrile Tanzeinlagen. Die für eine „biometrische Theaterinstallation“ obligate Nacktscanner-Szene fällt etwas gar seicht aus, und der Identitäts-Diskurs erschöpft sich grossenteils in abgegriffenen Phrasen („Ich ist ein anderer“; „Schon jetzt bist du nicht mehr die, die du eben warst“). So bleibt es, wo es ums „Ich“ geht, bei oberflächlichen Betrachtungen – dabei hätte das Thema, eigentlich ja Hauptgegenstand des Stücks, durchaus eine tiefergehende Erörterung verdient. Schade.
Wenn in der letzten Szene eine Kofferbombe auf der Bühne steht, deren ansteigendes Ticken plötzlich aussetzt, und nichts geschieht, mag man darin ein Abbild der ganzen Aufführung erkennen: Dem Stück mangelt es nicht an potentiellem Zündstoff, doch die Zündschnur franst im Verlaufe der Vorstellung zu sehr aus. Der Funke springt nicht über. Nichts geschieht.