Gerold Späth: Orgelbauer, Fischer, Schriftsteller

Die Veranstaltung

Was: Gerold Späth
Wo: Literaturhaus
Wann: 11.05.2010
Bereich: Literatur

Die Autorin

Simone Leibundgut: Jahrgang 1986, studierte Germanistik und arbeitete danach in der Presseabteilung verschiedener Verlage in Zürich. Absolviert zurzeit den CAS Kulturmanagment des Stapferhauses in Lenzburg.

Die Kritik

Lektorat: Fadrina Arpagaus.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).

Von Simone Leibundgut, 12.5.2010

«Unhöllische» Lesung
Angekündigt war eine Lesung Gerold Späths aus dem neu verlegten Roman «Die heile Hölle» (Arche 1974, Lenos 2010) – diese beschränkt sich jedoch auf die ersten vier noch ziemlich «unhöllischen» Seiten, und auch für das Gespräch zum Buch bleibt an diesem Abend im Literaturhaus verhältnismässig wenig Zeit. Späth liest laut und fast schon überdeutlich, so dass vieles, was man selber vielleicht überlesen hätte, nun an die Oberfläche gelangt: Der Humor dieses abgründigen Textes, der in vier in sich geschlossenen Kapiteln jeweils einen Tag aus dem Leben der Familienmitglieder schildert, wird nun erst richtig spürbar. Das Publikum (übrigens eher älteren Jahrgangs) lacht, wenn Späth genüsslich die «bronzebrunzwarmen» Morgenrituale des Vaters schildert. Man erhält den Eindruck, Späth amüsiere sich selber beim Wiederlesen dieses Textes aus dem Jahr 1974, der ihm Vergleiche mit Grass und Joyce eingebracht hat. Er gibt denn auch offen zu, seinem Spieltrieb beim Schreiben nachgegeben und die Familie – «eine Ansammlung von Zeitbomben», so die Moderatorin Christine Lötscher – in immer abgründigere Tiefen abdriften lassen zu haben.

Orgelbauer und Schriftsteller
Der kurzen Lesung aus der «Heilen Hölle» folgt ein Gespräch über das Selbstverständnis Späths als Autor, dessen tiefe Verbundenheit zum Handwerk immer wieder spürbar wird. Er zieht den Vergleich zur Orgelbauerfamilie, aus der er stammt, denn auch selber: Einem guten Orgelbauer sei es wichtig, dass seine Orgel in 200 Jahren noch da sei – so gehe es ihm mit seinen Büchern. Daraus resultiert eine grosse Sorgfalt beim Schreiben, die er selbstironisch als «Teamunfähigkeit» bezeichnet. Er wolle keinen Lektor, die Unabhängigkeit beim Schreiben sei ihm das Wichtigste.

Ebenfalls von grosser Bedeutung für das literarische Schaffen Späths scheinen die verschiedenen Wohnorte – Rapperswil, Irland, Italien – zu sein: Das Leben im Ausland verschärfe seinen Blick auf die Schweiz, so Späth. Überhaupt, die Schweiz und die Kindheit in Rapperswil (die er mit Mark Twains «Tom Sawyer» und «Huckleberry Finn» vergleicht), sie spielen für Späth eine wichtige Rolle. Er sei aufgewachsen mit dem sogenannten «Seebuebedütsch» und versuche auch heute noch, den Leuten «aufs Maul zu schreiben».

Wiederentdeckter Klassiker und zeitgenössischer Autor
Der zweite Teil des Abends widmet Späth «Mein Lac de Triomphe. Aufzeichnungen eines Fischers (das zweite Jahr)» (Lenos, Basel 2007). Dieser Text ist schon insofern spannend, als dass er die enorme Zeit- und Schaffensspanne des Autors aufzeigt, der, wie Christine Lötscher treffend bemerkt, wiederentdeckter Klassiker und zeitgenössischer Schriftsteller zugleich ist. Mehr als dreissig Jahre alte Klassiker werden zurzeit vom Lenos Verlag wieder neu verlegt, gleichzeitig erscheinen aktuelle Werke des Autors. Diese Doppelexistenz zeigt sich denn auch am Publikum, das aus einigen Neuentdeckern einer jüngeren Generation und zu einem grossen Teil aus vermutlich langjährigen und treuen Lesern besteht.

«Engelscharen zählen nicht zum gewöhnlichen Geflügel»
Die Lesung aus den «Aufzeichnungen eines Fischers» gerät, so kurzweilig die einzelnen Kapitel zuweilen auch sind, jedoch eindeutig zu lang – ein kleiner Wermuttropfen für einen ansonsten gelungenen Abend.
Erkennbar werden die sprachliche Vielfalt und der Sprachwitz des Autors: Die Aufzeichnungen wimmeln von schweizerdeutschen, lateinischen, englischen und französischen Ausdrücken, Sprichwörtern und Wortspielen. Gleichzeitig ist auch Platz da für Bibelzitate und fast schon enzyklopädisch anmutendes Wissen übers Fischen oder die Papstfolge in Rom. Die späthschen Wortspiele, Alliterationen und Metaphern sind zuweilen so treffend und überraschend, dass das Publikum laut auflacht, dann jedoch auch wieder allzu konstruiert, gesucht und mit der Zeit ermüdend.
Ein Buch solle hundert Geschichten erzählen, so der Anspruch Gerold Späths, der sein Werk als «Angebot an den Leser» versteht. Von diesem Angebot des Auswählens Gebrauch machen kann jedoch nur, wer das Buch zuhause hat und es auch wieder weglegen kann – was bei einer Lesung schwer möglich ist.

Interessant ist der starke Kontrast zum ersten Text des Abends mit seinem auf vier Familienmitglieder reduzierten Personal, der nun umso deutlicher spürbar geworden ist. Im Gespräch mit Christine Lötscher, das diese souverän und sympathisch führt, wird ein Schriftsteller spürbar, der sein «Handwerk» sehr ernst nimmt und mit viel Sorgfalt und Mühe pflegt. Gleichzeitig scheint er mit einer gesunden Portion Witz und Selbstironie an seinen Beruf heranzugehen. Dass Gerold Späth für sein erzählerisches Gesamtwerk soeben mit dem Gottfried-Keller-Preis ausgezeichnet wurde, ist nach diesem Abend im Literaturhaus Zürich nachvollziehbar.

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