Indie-Jazz aus Chicago – eine Musik reflektiert sich selbst

Die Veranstaltung

Was: Fabrikjazz: Rob Mazurek-Sound Is
Wo: Clubraum, Rote Fabrik
Wann: 04.03.2010
Bereich: Musik

Der Autor

Matthias Nawrat: Jahrgang 1979, studiert Literarisches Schreiben am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel. Seit mehr als zehn Jahren schreibt er Prosa. Als Schriftsteller und Musiker interessiert er sich für verschiedene Kultursparten. Seit zwei Jahren schreibt er als freier Journalist in den Bereichen Naturwissenschaften und Kultur.

Die Kritik

Lektorat: .

Von Matthias Nawrat, 6.3.2010

Schwer zu sagen, wie viele Stücke es eigentlich waren. An diesem Donnerstagabend war der Clubraum der Roten Fabrik jedenfalls für fast zwei Stunden eine Geburtsstätte. Es war, als hätten die fünf Musiker von „Sound Is“ um den Trompeter Rob Mazurek die Ursuppe der Musik angerührt. Und aus dieser immer wieder eigenständige Lebensformen ausgehoben. Das Publikum des nicht ganz gefüllten Saals war auch in den Momenten der Stille wie gebannt. Hier loteten fünf, die es können, die Grundbedingungen von Musik aus. Was ist Krach? Was ist Harmonie? Was ist Rhythmus? Wie viel hat Musik mit Bildern, mit Farben, mit Licht zu tun?

„Sound Is“ – das sind der Komponist und Trompeter der „Exploding Star Orchestra“ Mazurek, der Vibrafonist Jason Adasiewicz (Loose Assembly), der Schlagzeuger John Herndon (Tortoise), der E-Bassist Matthew Lux (Isotop 217) und der Kontrabassist Joshua Abrams (Town And Country). So, wie sie zusammengewürfelt sind, so würfelten sie zu Beginn des Konzerts auch ihre Stimmen zusammen. Ein Klangteppich erwuchs, sphärisch getragen von dem warm klingenden Vibrafon, im Körperinneren angetrieben durch das Schlagzeug und die zwei Bässe. Darüber erhob sich der fast zuckersüsse Ton der Trompete. Krach? Die hohe Kunst des Krachs eben, die viele falsch verstanden haben, die diese fünf jedoch beherrschen: Weil sie wissen, was Krach ist, nämlich der notwendige Untergrund, aus dem Harmonie und Rhythmus entwachsen können.

Direkt ins Gehirn der Zuhörer

Jedes Mal, wenn diese Ekstase des Zufälligen ausgeschöpft schien, kam eine leichtfüssige Wendung: ein monumentaler Groove etwa, die Wanderung eines Elefanten, im Grunde eine Erinnerung an die Heimatband von John Herndon Tortoise. Oder ein synkopierter Beat, perfekt abgestimmt mit dem hypnotisierenden Basslauf von Matthew Lux, geerdet durch den Kontrabass. Eingebettet in die warme Decke aus Vibrafonklängen. Und darüber die weiche Trompete, die mit ihren Melodien immer wieder überraschende Wege der Harmonie auszuloten begann, in den Indie-Pop, in den Jazz hinüber glitt. Immer ekstatischer wurde das Zusammenspiel. Die Musiker hatten bald ihre Augen geschlossen, Jason Adasiewicz sprang wie wahnsinnig vor seinem Vibrafon herum, mit dem Bart, dem Filzhut, dem Holzfällerhemd und der Hornbrille erinnerte er ein wenig an den tschechischen Räuber Rumcajs. Man musste sich mitbewegen, der Beat ließ nichts anderes zu.

Bis nach mehreren Minuten alles zusammenbrach und in die Ursuppe zurücksank, in der jedes Instrument wieder von seinen klanglichen Möglichkeiten zu träumen begann. Das hörte sich dann an, als würden nachts in einem verlassenen Proberaum Mäuse über die Instrumente flitzen. Ein andermal wie die Klänge von einer ausserirdischen Welt. Solche Bilder entstanden vor dem Auge. Direkt ins Gehirn ihrer Zuhörer schienen die fünf Musiker an diesem Abend eingestiegen zu sein, um dort die Kabel durcheinander zu stecken, sodass Töne sichtbar wurden.

Wie gesagt: Schwer zu sagen, wie viele Stücke es eigentlich waren. Vielleicht fünf, vielleicht zwölf. Kaum eine Pause gab es, die teils funkigen, teils jazzigen Strukturen gingen ineinander über, verbunden durch die Phasen des scheinbaren Chaos. Neben den Stücken von ihrem 2009 publizierten Debütalbum „Sound Is“ spielten die fünf Musiker laut Aussage von Rob Mazurek auch neue Kompositionen, die gerade noch in Arbeit seien. Nach einer zehnminütigen Zugabe verabschiedeten sie sich und kommen hoffentlich bald wieder.

Weiterlesen: