Literaturspur: Bekanntes neu erleben

Die Veranstaltung

Was: Else Lasker-Schüler – Ein literarischer Stadtrundgang
Wo: Treffpunkt: vor dem Eingang des Kunsthauses, Heimplatz 1
Wann: 17.08.2010
Bereich: Literatur

Die Autorin

Simone Leibundgut: Jahrgang 1986, studierte Germanistik und arbeitete danach in der Presseabteilung verschiedener Verlage in Zürich. Absolviert zurzeit den CAS Kulturmanagment des Stapferhauses in Lenzburg.

Die Kritik

Lektorat: Stefan Schöbi.

Von Simone Leibundgut, 23.8.2010

Eines stellt Martina Kuoni gleich zu Beginn ihrer Ausführungen klar: Das Leben Else Lasker-Schülers sei eigentlich viel zu dicht, um es in dem knapp zweistündigen literarischen Stadtrundgang abzuhandeln. Es gelingt ihr erfreulicherweise trotzdem, und dies, obwohl Else Lasker-Schüler erstaunlich wenig Spuren in Zürich hinterlassen hat – ein schmaler, nach ihr benannter Weg in Neu-Oerlikon bildet die Ausnahme.

Spannende Form der Kulturvermittlung

Die 1963 in Chur geborene Germanistin Martina Kuoni macht sich mit ihrem Projekt «Literaturspur» auf die Suche nach bekannteren und weniger bekannten Autoren und ihren Werken – und zwar am Ort ihres Wirkens. Jedes Dorf, jede Stadt habe ein «literarisches Gedächtnis», so Kuoni. Diese Erinnerungen lebendig werden zu lassen und die historischen und kulturellen Zusammenhänge erfahrbar zu machen, dieses Ziel verfolgt sie seit 2004 mit dem Projekt «Literaturspur». Eine Wanderung durch das Appenzell Robert Walsers, ein Mark-Twain-Rundgang durch Luzern oder eben ein Spaziergang durch Zürich auf den Spuren Else Lasker-Schülers standen bisher auf dem Programm.

Kuoni gelingt es auf diesem Weg (und nicht zuletzt auch dank ihrer freundlichen und unkomplizierten Art), einen persönlichen und spannenden Zugang zur Dichterin Else Lasker-Schüler und ihrer Zeit zu eröffnen. Das Café Odeon, zuvor vielleicht als Magnet für Touristen abgetan, erscheint nach dem Rundgang plötzlich in einem anderen Licht. Auf dem Spaziergang durch das Zürcher Oberdorf bleibt man an Orten stehen, an denen man normalerweise achtlos vorbeigegangen wäre. Da diese Eindrücke selbst erfahren wurden, bleiben sie länger bestehen, als wenn man in einer Biografie darüber gelesen hätte.

Ein Rundgang, der keiner ist

Die rund 30 Teilnehmenden werden persönlich begrüsst und erhalten ein biografisches Handout zu Else Lasker-Schülers. Eine Mappe mit historischen Fotografien und Zeichnungen wird herumgereicht, Kuoni selbst erzählt mithilfe eines Ringbuches. Spannend wird es vor allem, wenn sie dieses zur Seite legt und Anekdoten aus dem Leben der Autorin zum Besten gibt. Die literarische Spurensuche beginnt beim Kunsthaus, wo 1958 vier Koffer mit Manuskripten, Bildern und Briefen Lasker-Schülers gefunden wurden. Gleich gegenüber, im Schauspielhaus, wurde das Stück «Arthur Aronymus und seine Väter» 1936 uraufgeführt – und mangels Erfolg gleich wieder abgesetzt.

Jede Station wird begleitet von kurzen Ausführungen, so dass Else Lasker-Schülers Zürcher Zeit und die damaligen Lebensumstände zunehmend an Kontur gewinnen. Die Informationen sind wohl dosiert, auch die Anzahl Stationen ist gerade so gewählt, dass die Aufmerksamkeit erhalten bleibt. Die Spaziergänge vom einen zum nächsten Schauplatz sind als Denkpausen sehr willkommen. Der Spaziergang führt weiter vorbei am Café Odeon, an der ehemaligen Buchhandlung Oprecht, am Hechtplatz und endet schliesslich nicht am Ausgangspunkt, sondern beim Münsterhof.

Zürich als Exil und Zwischenstation

Else Lasker-Schüler flieht 1933 vor den Nazis in die Schweiz. Zu dieser Zeit ist die Dichterin längst eine Berühmtheit und führt sich auch dementsprechend auf: Umgeben von einer Schar von Bewundern vertreibt sie sich die Zeit in den Cafés Odeon und Terrasse, Treffpunkte für Emigranten aus ganz Europa wie Stefan Zweig, Karl Kraus oder Albert Einstein. Else Lasker-Schüler, der ein Berufsverbot auferlegt wurde, hält sich mit dem Verkauf von Zeichnungen und mit Lesungen über Wasser. Als Emigrantin ist sie auf Unterstützung angewiesen. Das Zürcher Verleger-Ehepaar Emil und Emmie Oprecht organisiert Unterkünfte und Aufenthaltsgenehmigungen und publiziert Werke – teilweise unter zensurtechnisch und wirtschaftlich halsbrecherischen Umständen. Die städtische Fremdenpolizei hält 1934 fest, eine weitere Anwesenheit der jüdischen Autorin sei «weder notwendig noch erwünscht». Trotzdem bleibt die Dichterin noch weitere fünf Jahre in der Schweiz, bis sie 1939 schliesslich nach Jerusalem ausreist, wo sie 1945 stirbt.

Das Bild, das Kuoni von Else Lasker-Schüler vermittelt, ist das einer exzentrischen Künstlerin, die trotz schlimmster Erfahrungen und widriger Lebensumstände ihre blühende Phantasie nicht verloren hat. Diese Eigenschaft wird aus zahlreichen Zitaten und Anekdoten aus dem Leben der Autorin spürbar. Neben der augenfälligen Leopardenfellmütze der Autorin blitzt ihr Naturell in zahlreichen Episoden auf: Bei ihren Kaffeehausbesuchen habe sie mit Vorliebe mit Bonbons bezahlt (kein Kellner wagte sich, das Spiel der berühmten Dichterin nicht mitzuspielen), ihren 50. Geburtstag liess sie im Alter von 57 Jahren feiern.

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