Drei Menschen – drei Einsamkeiten
Die Veranstaltung
Was: Lesung Eveline Hasler
Wo: Literaturhaus
Wann: 30.09.2010
Bereich: Literatur
Die Autorin
Michaela Lischer: Jahrgang 1985, studiert Germanistik in Zürich und schreibt bei einem studentischen Online-Magazin sowie bei «Denkbilder» (Germanistikmagazin der Universität Zürich).
Die Kritik
Lektorat: .
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).
Von Michaela Lischer, 2.10.2010
Nach mehr als zehn Jahren las Eveline Hasler wieder im Literaturhaus Zürich. In ihrem neuen Buch «Und werde immer Ihr Freund sein» geht sie der Freundschaft von Hugo Ball und Emmy Ball-Hennings mit Hermann Hesse nach. Sie zeichnet ein detailliertes Bild des gemeinsamen Lebensabschnitts der drei Dichter und Künstler, der 1920 mit einer Begegnung im Tessin seinen Anfang nimmt und durch den frühen Tod Hugo Balls 1927 zu Ende geht.
Eveline Hasler, erwiesene Meisterin des dokumentarischen Romans, zeigte sich im Gespräch mit Luzia Stettler, Kulturredaktorin des Schweizer Radio DRS, gegenüber dem Begriff ‹Roman› für ihr Buch jedoch skeptisch. Sie liess die zahlreichen Zuhörerinnen und nur spärlich präsenten Zuhörer hinter die Kulisse des gedruckten Worts blicken, auf die enorme Recherchetätigkeit, die der vorliegenden Geschichte zu ihrer Authentizität verhalf. Eineinhalb Jahre hat sich Hasler durch Briefe und Zeitdokumente gelesen und die Lebenswege der drei Protagonisten exakt nachzuzeichnen versucht. Sie beeindruckt mit Detailkenntnis der Beziehungsnetze, verblüfft mit Informationen über berühmte Zeitgenossen (so lebte beispielsweise Friedrich Glauser für kurze Zeit mit den Ball-Hennings auf einer Alp) und bestätigt, dass sie sich für die Dialoge kaum Begriffe ausgedacht, sondern diese der reich überlieferten Korrespondenz der Protagonisten entnommen habe. Darüber hinaus hat sie sich eine profunde Ortskenntnis der Handlungsstätten angeeignet. Zur Frage nach der Fiktionalität der Erzählung hat Eveline Hasler ihre eigene Position entwickelt: Die Autorin erklärt, sie habe «Fiktion mit Fleisch und Blut angereichert», mit «Fakten jongliert» und sich nur beim Ausmalen des Ambientes und einiger Regieanweisungen aufs Erfinden verlegt.
Die gelesenen Passagen ermöglichten, sich ein Bild zu machen von der Lebenswelt der Protagonisten: Sie verband, dass sie sich alle drei an einem schwierigen Punkt im Leben befanden – und trotz der sich rasch entwickelnden Freundschaft eine innere Einsamkeit nicht loswerden konnten. Hugo Ball, noch immer gezeichnet vom Verlust seines Freunds und Geliebten Hans Leybold sowie von der anstrengenden Dada-Zeit in Zürich, hat in Emmy Hennings eine Lebensgefährtin gefunden, deren bisheriger Lebensweg von Drogen und Prostitution gezeichnet war. Hesse wiederum hat sich gerade von seiner psychisch erkrankten Ehefrau getrennt und leidet an einem Schreibstau, der ihn an der Weiterarbeit an «Siddhartha» hindert. Hasler liess an diesem Abend die unterschwellig erotische Dimension der Dreierbeziehung nicht unerwähnt – den Konkurrenzkampf um die Vorherrschaft in Hesses Gunst unter dem Ehepaar Ball-Hennings – und sorgte für einige Heiterkeit im Publikum, als sie darauf aufmerksam machte, dass Hesse Hugo Ball dennoch erst nach sechs Jahren enger Freundschaft das Du angeboten habe. Emmy sollte diese Ehre nie zuteilwerden.
Die Hintergrundinformationen zur Entstehung des Buchs und zu den Lebensgeschichten Hesses und der Ball-Hennings, mit welchen Eveline Hasler im Gespräch mit Luzia Stettler aufwarten konnte, ergänzt durch ihre eindrückliche Art vorzulesen, die in der Inszenierung des Totentanz’ von Hugo Ball im Kapitel über die Dada-Zeit kulminierte, machten den Abend insbesondere für Interessierte am ‹literarischen Leben› zu Beginn des letzten Jahrhunderts zu einem gelungenen Ereignis.